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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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durch Verschmelzungshülfen (wegen Verbindung der
Reste aus früherer Hemmung,) vergrössert seyn wird.

2) Man kann sich abermals täuschen, und noch
leichter wie zuvor, -- wenn man die erste grosse Nach-
giebigkeit wahrnimmt, mit welcher sie auf den Impuls
der neu hinzukommenden Kraft anfangen zu sinken. Ge-
rade dann, wann sie ganz unterdrückt scheinen, haben
sie ihre grösste Spannung.

3) Eine Täuschung von anderer Art würde erfolgen,
wenn man die Geschwindigkeit der anfänglichen Bewe-
gungen, sey es des Steigens oder des Sinkens, für gleich-
förmig halten wollte. Alle psychologischen Kräfte, deren
Wirkungsart nicht besonders verwickelt ist, bringen solche
Veränderungen hervor, deren Lauf eine kurze Zeit lang
nahe gleichförmig ist, aber sehr bald langsamer wird,
wiewohl niemals völlig zum Stillstande kommt.

Bevor ich weiter gehe, müssen ein paar allgemeine
Bemerkungen Platz finden.

Es ist der beständige Fehler der falschen Politik,
Kräfte niederzudrücken, mit denen man sich besser ver-
binden sollte. So macht es nicht bloss die türkische
Despotie, sondern auch die hässliche Demokratie zu Athen
(die weder dem Xenophon noch dem Platon gefiel,)
wusste nichts besseres als ihren Ostracismus. Klüger
wenigstens war Napoleon, der seine Herrschaft durch
Verbindung mit allen Partheyen bevestigte; so jedoch,
dass Er selbst der allgemeine Mittelpunct blieb. -- Wird
eine Kraft niedergebeugt, so wird sie entweder vernichtet;
dann schwächt sich der Staat, denn er kann die Kräfte
nicht nach Belieben schaffen, sondern nur benutzen;
oder sie geräth in Spannung; dann ist ein verborgener
Feind geschaffen, mit dem man irgend einmal wird strei-
ten müssen.

Da nun der Staat an seiner Gesammtstärke alle die,
gewöhnlich sehr zahlreichen, Kräfte verliert, welche, ver-
möge der Ungleichheit, unvermeidlich auf die statische
Schwelle fallen, (denn seine Stärke resultirt nur aus der

durch Verschmelzungshülfen (wegen Verbindung der
Reste aus früherer Hemmung,) vergröſsert seyn wird.

2) Man kann sich abermals täuschen, und noch
leichter wie zuvor, — wenn man die erste groſse Nach-
giebigkeit wahrnimmt, mit welcher sie auf den Impuls
der neu hinzukommenden Kraft anfangen zu sinken. Ge-
rade dann, wann sie ganz unterdrückt scheinen, haben
sie ihre gröſste Spannung.

3) Eine Täuschung von anderer Art würde erfolgen,
wenn man die Geschwindigkeit der anfänglichen Bewe-
gungen, sey es des Steigens oder des Sinkens, für gleich-
förmig halten wollte. Alle psychologischen Kräfte, deren
Wirkungsart nicht besonders verwickelt ist, bringen solche
Veränderungen hervor, deren Lauf eine kurze Zeit lang
nahe gleichförmig ist, aber sehr bald langsamer wird,
wiewohl niemals völlig zum Stillstande kommt.

Bevor ich weiter gehe, müssen ein paar allgemeine
Bemerkungen Platz finden.

Es ist der beständige Fehler der falschen Politik,
Kräfte niederzudrücken, mit denen man sich besser ver-
binden sollte. So macht es nicht bloſs die türkische
Despotie, sondern auch die häſsliche Demokratie zu Athen
(die weder dem Xenophon noch dem Platon gefiel,)
wuſste nichts besseres als ihren Ostracismus. Klüger
wenigstens war Napoleon, der seine Herrschaft durch
Verbindung mit allen Partheyen bevestigte; so jedoch,
daſs Er selbst der allgemeine Mittelpunct blieb. — Wird
eine Kraft niedergebeugt, so wird sie entweder vernichtet;
dann schwächt sich der Staat, denn er kann die Kräfte
nicht nach Belieben schaffen, sondern nur benutzen;
oder sie geräth in Spannung; dann ist ein verborgener
Feind geschaffen, mit dem man irgend einmal wird strei-
ten müssen.

Da nun der Staat an seiner Gesammtstärke alle die,
gewöhnlich sehr zahlreichen, Kräfte verliert, welche, ver-
möge der Ungleichheit, unvermeidlich auf die statische
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[28/0063] durch Verschmelzungshülfen (wegen Verbindung der Reste aus früherer Hemmung,) vergröſsert seyn wird. 2) Man kann sich abermals täuschen, und noch leichter wie zuvor, — wenn man die erste groſse Nach- giebigkeit wahrnimmt, mit welcher sie auf den Impuls der neu hinzukommenden Kraft anfangen zu sinken. Ge- rade dann, wann sie ganz unterdrückt scheinen, haben sie ihre gröſste Spannung. 3) Eine Täuschung von anderer Art würde erfolgen, wenn man die Geschwindigkeit der anfänglichen Bewe- gungen, sey es des Steigens oder des Sinkens, für gleich- förmig halten wollte. Alle psychologischen Kräfte, deren Wirkungsart nicht besonders verwickelt ist, bringen solche Veränderungen hervor, deren Lauf eine kurze Zeit lang nahe gleichförmig ist, aber sehr bald langsamer wird, wiewohl niemals völlig zum Stillstande kommt. Bevor ich weiter gehe, müssen ein paar allgemeine Bemerkungen Platz finden. Es ist der beständige Fehler der falschen Politik, Kräfte niederzudrücken, mit denen man sich besser ver- binden sollte. So macht es nicht bloſs die türkische Despotie, sondern auch die häſsliche Demokratie zu Athen (die weder dem Xenophon noch dem Platon gefiel,) wuſste nichts besseres als ihren Ostracismus. Klüger wenigstens war Napoleon, der seine Herrschaft durch Verbindung mit allen Partheyen bevestigte; so jedoch, daſs Er selbst der allgemeine Mittelpunct blieb. — Wird eine Kraft niedergebeugt, so wird sie entweder vernichtet; dann schwächt sich der Staat, denn er kann die Kräfte nicht nach Belieben schaffen, sondern nur benutzen; oder sie geräth in Spannung; dann ist ein verborgener Feind geschaffen, mit dem man irgend einmal wird strei- ten müssen. Da nun der Staat an seiner Gesammtstärke alle die, gewöhnlich sehr zahlreichen, Kräfte verliert, welche, ver- möge der Ungleichheit, unvermeidlich auf die statische Schwelle fallen, (denn seine Stärke resultirt nur aus der

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/63>, abgerufen am 29.04.2024.