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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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Antwort. Das wissen wir nicht. Den Mann kennen
wir nicht. Es muß ein sehr mächtiger Mann seyn. Oder
es ist wohl immer so gewesen und wird so bleiben.

Frage. Habet ihr auch eine Seele?

Antwort. O ja. Sie kann ab- und zunehmen: un-
sre Angikoks können sie flicken und repariren: wenn man sie
verlohren hat, bringen sie sie wieder und eine kranke können
sie mit einer frischen gesunden Seele von einem Hasen, Renn-
thier, Vogel oder jungen Kinde verwechseln. Wenn wir auf
eine weite Reise gegangen sind, so ist oft unsre Seele zu Hause.
Jn der Nacht im Schlaf wandert sie aus dem Leibe: sie geht
auf die Jagd, zum Tanz, zum Besuch und der Leib liegt ge-
sund da -- --

Fr. Wo bleibt sie denn im Tode?

Antw. Da geht sie an den glückseligen Ort in der
Tiefe des Meers. Daselbst wohnet Torngarsuk und seine
Mutter: da ist ein beständiger Sommer, schöner Sonnenschein
und keine Nacht. Auch gutes Wasser ist da und ein Ueber-
fluß an Vögeln, Fischen, Seehunden und Rennthieren, die
man alle ohne Mühe fangen kann oder die man gar schon in
einem großen Kessel kochend findet.

Fr. Und kommen alle Menschen dahin?

Antw.

Antwort. Das wiſſen wir nicht. Den Mann kennen
wir nicht. Es muß ein ſehr maͤchtiger Mann ſeyn. Oder
es iſt wohl immer ſo geweſen und wird ſo bleiben.

Frage. Habet ihr auch eine Seele?

Antwort. O ja. Sie kann ab- und zunehmen: un-
ſre Angikoks koͤnnen ſie flicken und repariren: wenn man ſie
verlohren hat, bringen ſie ſie wieder und eine kranke koͤnnen
ſie mit einer friſchen geſunden Seele von einem Haſen, Renn-
thier, Vogel oder jungen Kinde verwechſeln. Wenn wir auf
eine weite Reiſe gegangen ſind, ſo iſt oft unſre Seele zu Hauſe.
Jn der Nacht im Schlaf wandert ſie aus dem Leibe: ſie geht
auf die Jagd, zum Tanz, zum Beſuch und der Leib liegt ge-
ſund da — —

Fr. Wo bleibt ſie denn im Tode?

Antw. Da geht ſie an den gluͤckſeligen Ort in der
Tiefe des Meers. Daſelbſt wohnet Torngarſuk und ſeine
Mutter: da iſt ein beſtaͤndiger Sommer, ſchoͤner Sonnenſchein
und keine Nacht. Auch gutes Waſſer iſt da und ein Ueber-
fluß an Voͤgeln, Fiſchen, Seehunden und Rennthieren, die
man alle ohne Muͤhe fangen kann oder die man gar ſchon in
einem großen Keſſel kochend findet.

Fr. Und kommen alle Menſchen dahin?

Antw.
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[144/0156] Antwort. Das wiſſen wir nicht. Den Mann kennen wir nicht. Es muß ein ſehr maͤchtiger Mann ſeyn. Oder es iſt wohl immer ſo geweſen und wird ſo bleiben. Frage. Habet ihr auch eine Seele? Antwort. O ja. Sie kann ab- und zunehmen: un- ſre Angikoks koͤnnen ſie flicken und repariren: wenn man ſie verlohren hat, bringen ſie ſie wieder und eine kranke koͤnnen ſie mit einer friſchen geſunden Seele von einem Haſen, Renn- thier, Vogel oder jungen Kinde verwechſeln. Wenn wir auf eine weite Reiſe gegangen ſind, ſo iſt oft unſre Seele zu Hauſe. Jn der Nacht im Schlaf wandert ſie aus dem Leibe: ſie geht auf die Jagd, zum Tanz, zum Beſuch und der Leib liegt ge- ſund da — — Fr. Wo bleibt ſie denn im Tode? Antw. Da geht ſie an den gluͤckſeligen Ort in der Tiefe des Meers. Daſelbſt wohnet Torngarſuk und ſeine Mutter: da iſt ein beſtaͤndiger Sommer, ſchoͤner Sonnenſchein und keine Nacht. Auch gutes Waſſer iſt da und ein Ueber- fluß an Voͤgeln, Fiſchen, Seehunden und Rennthieren, die man alle ohne Muͤhe fangen kann oder die man gar ſchon in einem großen Keſſel kochend findet. Fr. Und kommen alle Menſchen dahin? Antw.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/156>, abgerufen am 29.04.2024.