Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

geretteter Raub der untergegangenen Vorwelta); daher er
theils schon von Anfange her einen Glanz zeige, der sich auf
Erfahrungen vieler Jahrtausende gründe, theils auch nie ins
Licht gesetzt werden könne, weil durch diese überbliebene Men-
schen, wie durch einen Jsthmus, sich die Cultur zweier Welten
verwirre und binde." Jst diese Meinung wahr: so giebt es
allerdings keine reine Philosophie der Menschengeschichte: denn
unser Geschlecht selbst und alle seine Künste wären nur ausge-
worfene Schlacken einer vorigen Weltverwüstung. Lasset uns
sehen, was diese Hypothese, die aus der Erde selbst so wie aus
ihrer Menschengeschichte ein unentwirrbares Chaos macht,
für Grund habe?

Jn der Urbildung unsrer Erde hat sie, wie mich dünkt,
keinen: denn die ersten scheinbaren Verwüstungen und Revo-
lutionen derselben setzen keine verlebte Menschengeschichte vor-
aus, sondern gehören zu dem schaffenden Kreise selbst, durch
welchen unsre Erde erst bewohnbar wordenb). Der alte

Granit,
a) S. insonderheit den scharfsinnigen Versuch über den Ursprung
der Erkenntniß der Wahrheit und der Wissenschaften
Ber-
lin 1781. Die Hypothese, daß unser Erdball aus den Trümmern
einer andern Welt gebildet sei, ist mehreren Naturforschern aus
sehr verschiednen Gründen gemein.
b) Die facta zu den folgenden Behauptungen sind in vielen Büchern
der neuern Erdkunde zerstreut, auch zum Theil aus Buffon u. a.
so bekannt, daß ich mich Satz für Satz mit Citationen nicht ziere.

geretteter Raub der untergegangenen Vorwelta); daher er
theils ſchon von Anfange her einen Glanz zeige, der ſich auf
Erfahrungen vieler Jahrtauſende gruͤnde, theils auch nie ins
Licht geſetzt werden koͤnne, weil durch dieſe uͤberbliebene Men-
ſchen, wie durch einen Jſthmus, ſich die Cultur zweier Welten
verwirre und binde.” Jſt dieſe Meinung wahr: ſo giebt es
allerdings keine reine Philoſophie der Menſchengeſchichte: denn
unſer Geſchlecht ſelbſt und alle ſeine Kuͤnſte waͤren nur ausge-
worfene Schlacken einer vorigen Weltverwuͤſtung. Laſſet uns
ſehen, was dieſe Hypotheſe, die aus der Erde ſelbſt ſo wie aus
ihrer Menſchengeſchichte ein unentwirrbares Chaos macht,
fuͤr Grund habe?

Jn der Urbildung unſrer Erde hat ſie, wie mich duͤnkt,
keinen: denn die erſten ſcheinbaren Verwuͤſtungen und Revo-
lutionen derſelben ſetzen keine verlebte Menſchengeſchichte vor-
aus, ſondern gehoͤren zu dem ſchaffenden Kreiſe ſelbſt, durch
welchen unſre Erde erſt bewohnbar wordenb). Der alte

Granit,
a) S. inſonderheit den ſcharfſinnigen Verſuch uͤber den Urſprung
der Erkenntniß der Wahrheit und der Wiſſenſchaften
Ber-
lin 1781. Die Hypotheſe, daß unſer Erdball aus den Truͤmmern
einer andern Welt gebildet ſei, iſt mehreren Naturforſchern aus
ſehr verſchiednen Gruͤnden gemein.
b) Die facta zu den folgenden Behauptungen ſind in vielen Buͤchern
der neuern Erdkunde zerſtreut, auch zum Theil aus Buffon u. a.
ſo bekannt, daß ich mich Satz fuͤr Satz mit Citationen nicht ziere.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0292" n="280"/>
geretteter Raub der untergegangenen Vorwelt<note place="foot" n="a)">S. in&#x017F;onderheit den &#x017F;charf&#x017F;innigen <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;uch u&#x0364;ber den Ur&#x017F;prung<lb/>
der Erkenntniß der Wahrheit und der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften</hi> Ber-<lb/>
lin 1781. Die Hypothe&#x017F;e, daß un&#x017F;er Erdball aus den Tru&#x0364;mmern<lb/>
einer andern Welt gebildet &#x017F;ei, i&#x017F;t mehreren Naturfor&#x017F;chern aus<lb/>
&#x017F;ehr ver&#x017F;chiednen Gru&#x0364;nden gemein.</note>; daher er<lb/>
theils &#x017F;chon von Anfange her einen Glanz zeige, der &#x017F;ich auf<lb/>
Erfahrungen vieler Jahrtau&#x017F;ende gru&#x0364;nde, theils auch nie ins<lb/>
Licht ge&#x017F;etzt werden ko&#x0364;nne, weil durch die&#x017F;e u&#x0364;berbliebene Men-<lb/>
&#x017F;chen, wie durch einen J&#x017F;thmus, &#x017F;ich die Cultur zweier Welten<lb/>
verwirre und binde.&#x201D; J&#x017F;t die&#x017F;e Meinung wahr: &#x017F;o giebt es<lb/>
allerdings keine reine Philo&#x017F;ophie der Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte: denn<lb/>
un&#x017F;er Ge&#x017F;chlecht &#x017F;elb&#x017F;t und alle &#x017F;eine Ku&#x0364;n&#x017F;te wa&#x0364;ren nur ausge-<lb/>
worfene Schlacken einer vorigen Weltverwu&#x0364;&#x017F;tung. La&#x017F;&#x017F;et uns<lb/>
&#x017F;ehen, was die&#x017F;e Hypothe&#x017F;e, die aus der Erde &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;o wie aus<lb/>
ihrer Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte ein unentwirrbares Chaos macht,<lb/>
fu&#x0364;r Grund habe?</p><lb/>
          <p>Jn der Urbildung un&#x017F;rer Erde hat &#x017F;ie, wie mich du&#x0364;nkt,<lb/>
keinen: denn die er&#x017F;ten &#x017F;cheinbaren Verwu&#x0364;&#x017F;tungen und Revo-<lb/>
lutionen der&#x017F;elben &#x017F;etzen keine verlebte Men&#x017F;chenge&#x017F;chichte vor-<lb/>
aus, &#x017F;ondern geho&#x0364;ren zu dem &#x017F;chaffenden Krei&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t, durch<lb/>
welchen un&#x017F;re Erde er&#x017F;t bewohnbar worden<note place="foot" n="b)">Die <hi rendition="#aq">facta</hi> zu den folgenden Behauptungen &#x017F;ind in vielen Bu&#x0364;chern<lb/>
der neuern Erdkunde zer&#x017F;treut, auch zum Theil aus <hi rendition="#fr">Buffon</hi> u. a.<lb/>
&#x017F;o bekannt, daß ich mich Satz fu&#x0364;r Satz mit Citationen nicht ziere.</note>. Der alte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Granit,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[280/0292] geretteter Raub der untergegangenen Vorwelt a); daher er theils ſchon von Anfange her einen Glanz zeige, der ſich auf Erfahrungen vieler Jahrtauſende gruͤnde, theils auch nie ins Licht geſetzt werden koͤnne, weil durch dieſe uͤberbliebene Men- ſchen, wie durch einen Jſthmus, ſich die Cultur zweier Welten verwirre und binde.” Jſt dieſe Meinung wahr: ſo giebt es allerdings keine reine Philoſophie der Menſchengeſchichte: denn unſer Geſchlecht ſelbſt und alle ſeine Kuͤnſte waͤren nur ausge- worfene Schlacken einer vorigen Weltverwuͤſtung. Laſſet uns ſehen, was dieſe Hypotheſe, die aus der Erde ſelbſt ſo wie aus ihrer Menſchengeſchichte ein unentwirrbares Chaos macht, fuͤr Grund habe? Jn der Urbildung unſrer Erde hat ſie, wie mich duͤnkt, keinen: denn die erſten ſcheinbaren Verwuͤſtungen und Revo- lutionen derſelben ſetzen keine verlebte Menſchengeſchichte vor- aus, ſondern gehoͤren zu dem ſchaffenden Kreiſe ſelbſt, durch welchen unſre Erde erſt bewohnbar worden b). Der alte Granit, a) S. inſonderheit den ſcharfſinnigen Verſuch uͤber den Urſprung der Erkenntniß der Wahrheit und der Wiſſenſchaften Ber- lin 1781. Die Hypotheſe, daß unſer Erdball aus den Truͤmmern einer andern Welt gebildet ſei, iſt mehreren Naturforſchern aus ſehr verſchiednen Gruͤnden gemein. b) Die facta zu den folgenden Behauptungen ſind in vielen Buͤchern der neuern Erdkunde zerſtreut, auch zum Theil aus Buffon u. a. ſo bekannt, daß ich mich Satz fuͤr Satz mit Citationen nicht ziere.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/292
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/292>, abgerufen am 14.05.2024.