Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

reren benachbarten Jndischen Namen übriga). Die beiden
letzten Ströme endlich, der Tigris und Euphrat, fließen frey-
lich sehr weit Westwärts; da aber der Sammler dieser Tra-
ditionen am westlichen Ende Asiens lebte, so verlohren sich
ihm nothwendig diese Gegenden schon in die weite Ferne und
es ist möglich, daß der dritte Strom, den er nennet, gar ei-
nen östlichern Tigris, den Jndus bedeuten sollteb). Es war
nämlich die Gewohnheit aller sich verpflanzenden, alten Völ-
ker, die Sagen vom Berge der Urwelt, den Bergen und
Strömen ihres neuen Landes zuzueignen und solche durch eine
Local-Mythologie zu nationalisiren, wie von den Medischen
Gebürgen an bis zum Olympus und Jda gezeigt werden
könnte. Nach seiner Lage also konnte der Sammler dieser
Traditionen nicht anders als den weitsten Strich bezeichnen,

den
a) Kaschgar, Kaschmire, die Kasischen Gebürge, Kaukasus, Kathai u. f.
b) Hidekel heißt der dritte Strom und nach Otter heißt der Jndus
noch jetzt bey den Arabern Eteck, bey den alten Jndiern Enider.
Selbst die Endung des Worts scheint Jndisch: Dewerkel, wie
sie ihre Halbgötter nennen, ist der Pluralis von Dewin. Jn
dessen ists wahrscheinlich, daß der Sammler der Tradition ihn
für den Tigris nahm, da er ihn Ostwärts jenseit Assyrien setzte.
Die ferneren Länder lagen ihm zu ferne. Auch der Phrath ist
wahrscheinlich ein andrer Fluß gewesen, der hier nur appellative
übersetzt oder als der berühmteste östliche Strom genannt ward.

reren benachbarten Jndiſchen Namen uͤbriga). Die beiden
letzten Stroͤme endlich, der Tigris und Euphrat, fließen frey-
lich ſehr weit Weſtwaͤrts; da aber der Sammler dieſer Tra-
ditionen am weſtlichen Ende Aſiens lebte, ſo verlohren ſich
ihm nothwendig dieſe Gegenden ſchon in die weite Ferne und
es iſt moͤglich, daß der dritte Strom, den er nennet, gar ei-
nen oͤſtlichern Tigris, den Jndus bedeuten ſollteb). Es war
naͤmlich die Gewohnheit aller ſich verpflanzenden, alten Voͤl-
ker, die Sagen vom Berge der Urwelt, den Bergen und
Stroͤmen ihres neuen Landes zuzueignen und ſolche durch eine
Local-Mythologie zu nationaliſiren, wie von den Mediſchen
Gebuͤrgen an bis zum Olympus und Jda gezeigt werden
koͤnnte. Nach ſeiner Lage alſo konnte der Sammler dieſer
Traditionen nicht anders als den weitſten Strich bezeichnen,

den
a) Kaſchgar, Kaſchmire, die Kaſiſchen Gebuͤrge, Kaukaſus, Kathai u. f.
b) Hidekel heißt der dritte Strom und nach Otter heißt der Jndus
noch jetzt bey den Arabern Eteck, bey den alten Jndiern Enider.
Selbſt die Endung des Worts ſcheint Jndiſch: Dewerkel, wie
ſie ihre Halbgoͤtter nennen, iſt der Pluralis von Dewin. Jn
deſſen iſts wahrſcheinlich, daß der Sammler der Tradition ihn
fuͤr den Tigris nahm, da er ihn Oſtwaͤrts jenſeit Aſſyrien ſetzte.
Die ferneren Laͤnder lagen ihm zu ferne. Auch der Phrath iſt
wahrſcheinlich ein andrer Fluß geweſen, der hier nur appellative
uͤberſetzt oder als der beruͤhmteſte oͤſtliche Strom genannt ward.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0347" n="335"/>
reren benachbarten Jndi&#x017F;chen Namen u&#x0364;brig<note place="foot" n="a)">Ka&#x017F;chgar, Ka&#x017F;chmire, die Ka&#x017F;i&#x017F;chen Gebu&#x0364;rge, Kauka&#x017F;us, Kathai u. f.</note>. Die beiden<lb/>
letzten Stro&#x0364;me endlich, der Tigris und Euphrat, fließen frey-<lb/>
lich &#x017F;ehr weit We&#x017F;twa&#x0364;rts; da aber der Sammler die&#x017F;er Tra-<lb/>
ditionen am we&#x017F;tlichen Ende A&#x017F;iens lebte, &#x017F;o verlohren &#x017F;ich<lb/>
ihm nothwendig die&#x017F;e Gegenden &#x017F;chon in die weite Ferne und<lb/>
es i&#x017F;t mo&#x0364;glich, daß der dritte Strom, den er nennet, gar ei-<lb/>
nen o&#x0364;&#x017F;tlichern Tigris, den Jndus bedeuten &#x017F;ollte<note place="foot" n="b)"><hi rendition="#fr">Hidekel</hi> heißt der dritte Strom und nach <hi rendition="#fr">Otter</hi> heißt der Jndus<lb/>
noch jetzt bey den Arabern <hi rendition="#fr">Eteck</hi>, bey den alten Jndiern <hi rendition="#fr">Enider.</hi><lb/>
Selb&#x017F;t die Endung des Worts &#x017F;cheint Jndi&#x017F;ch: Dewerkel, wie<lb/>
&#x017F;ie ihre Halbgo&#x0364;tter nennen, i&#x017F;t der Pluralis von Dewin. Jn<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;ts wahr&#x017F;cheinlich, daß der Sammler der Tradition ihn<lb/>
fu&#x0364;r den Tigris nahm, da er ihn O&#x017F;twa&#x0364;rts jen&#x017F;eit A&#x017F;&#x017F;yrien &#x017F;etzte.<lb/>
Die ferneren La&#x0364;nder lagen ihm zu ferne. Auch der Phrath i&#x017F;t<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich ein andrer Fluß gewe&#x017F;en, der hier nur <hi rendition="#aq">appellative</hi><lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;etzt oder als der beru&#x0364;hmte&#x017F;te o&#x0364;&#x017F;tliche Strom genannt ward.</note>. Es war<lb/>
na&#x0364;mlich die Gewohnheit aller &#x017F;ich verpflanzenden, alten Vo&#x0364;l-<lb/>
ker, die Sagen vom Berge der Urwelt, den Bergen und<lb/>
Stro&#x0364;men ihres neuen Landes zuzueignen und &#x017F;olche durch eine<lb/>
Local-Mythologie zu nationali&#x017F;iren, wie von den Medi&#x017F;chen<lb/>
Gebu&#x0364;rgen an bis zum Olympus und Jda gezeigt werden<lb/>
ko&#x0364;nnte. Nach &#x017F;einer Lage al&#x017F;o konnte der Sammler die&#x017F;er<lb/>
Traditionen nicht anders als den weit&#x017F;ten Strich bezeichnen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0347] reren benachbarten Jndiſchen Namen uͤbrig a). Die beiden letzten Stroͤme endlich, der Tigris und Euphrat, fließen frey- lich ſehr weit Weſtwaͤrts; da aber der Sammler dieſer Tra- ditionen am weſtlichen Ende Aſiens lebte, ſo verlohren ſich ihm nothwendig dieſe Gegenden ſchon in die weite Ferne und es iſt moͤglich, daß der dritte Strom, den er nennet, gar ei- nen oͤſtlichern Tigris, den Jndus bedeuten ſollte b). Es war naͤmlich die Gewohnheit aller ſich verpflanzenden, alten Voͤl- ker, die Sagen vom Berge der Urwelt, den Bergen und Stroͤmen ihres neuen Landes zuzueignen und ſolche durch eine Local-Mythologie zu nationaliſiren, wie von den Mediſchen Gebuͤrgen an bis zum Olympus und Jda gezeigt werden koͤnnte. Nach ſeiner Lage alſo konnte der Sammler dieſer Traditionen nicht anders als den weitſten Strich bezeichnen, den a) Kaſchgar, Kaſchmire, die Kaſiſchen Gebuͤrge, Kaukaſus, Kathai u. f. b) Hidekel heißt der dritte Strom und nach Otter heißt der Jndus noch jetzt bey den Arabern Eteck, bey den alten Jndiern Enider. Selbſt die Endung des Worts ſcheint Jndiſch: Dewerkel, wie ſie ihre Halbgoͤtter nennen, iſt der Pluralis von Dewin. Jn deſſen iſts wahrſcheinlich, daß der Sammler der Tradition ihn fuͤr den Tigris nahm, da er ihn Oſtwaͤrts jenſeit Aſſyrien ſetzte. Die ferneren Laͤnder lagen ihm zu ferne. Auch der Phrath iſt wahrſcheinlich ein andrer Fluß geweſen, der hier nur appellative uͤberſetzt oder als der beruͤhmteſte oͤſtliche Strom genannt ward.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/347
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/347>, abgerufen am 15.05.2024.