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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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türlich können Stände ohne bestimmte Cha-
raktere auf dem Theater keine Wirkung
thun; aber bilden sich die Charaktere der
Menschen nicht in und nach Ständen? und
welcher Stand hätte auf den Charakter mehr
Einfluß, als der Stand eines Prinzen? Hier
hatte also Leßing ein weites Feld, das phi-
losophische Allgemeine, dadurch
Aristoteles die Poesie von der nackten Ge-
schichte unterscheidet, als Philosoph und
Dichter zu bearbeiten. Er zeigt den Cha-
rakter des Prinzen in seinem Stande, den
Stand in seinem Charakter, beide von
mehreren Seiten, in mehreren Situationen.
Nicht nur bringt er den Prinzen in seiner
gegenwärtigen Gemüthsstimmung mit den
verschiedensten Personen, Männern und
Weibern, mit Künstler und Canzler, Kam-
merherr und Kammerdiener, mit einer
Geliebten, die er jetzt nicht geliebt haben,

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tuͤrlich koͤnnen Staͤnde ohne beſtimmte Cha-
raktere auf dem Theater keine Wirkung
thun; aber bilden ſich die Charaktere der
Menſchen nicht in und nach Staͤnden? und
welcher Stand haͤtte auf den Charakter mehr
Einfluß, als der Stand eines Prinzen? Hier
hatte alſo Leßing ein weites Feld, das phi-
loſophiſche Allgemeine, dadurch
Ariſtoteles die Poeſie von der nackten Ge-
ſchichte unterſcheidet, als Philoſoph und
Dichter zu bearbeiten. Er zeigt den Cha-
rakter des Prinzen in ſeinem Stande, den
Stand in ſeinem Charakter, beide von
mehreren Seiten, in mehreren Situationen.
Nicht nur bringt er den Prinzen in ſeiner
gegenwaͤrtigen Gemuͤthsſtimmung mit den
verſchiedenſten Perſonen, Maͤnnern und
Weibern, mit Kuͤnſtler und Canzler, Kam-
merherr und Kammerdiener, mit einer
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[137/0146] tuͤrlich koͤnnen Staͤnde ohne beſtimmte Cha- raktere auf dem Theater keine Wirkung thun; aber bilden ſich die Charaktere der Menſchen nicht in und nach Staͤnden? und welcher Stand haͤtte auf den Charakter mehr Einfluß, als der Stand eines Prinzen? Hier hatte alſo Leßing ein weites Feld, das phi- loſophiſche Allgemeine, dadurch Ariſtoteles die Poeſie von der nackten Ge- ſchichte unterſcheidet, als Philoſoph und Dichter zu bearbeiten. Er zeigt den Cha- rakter des Prinzen in ſeinem Stande, den Stand in ſeinem Charakter, beide von mehreren Seiten, in mehreren Situationen. Nicht nur bringt er den Prinzen in ſeiner gegenwaͤrtigen Gemuͤthsſtimmung mit den verſchiedenſten Perſonen, Maͤnnern und Weibern, mit Kuͤnſtler und Canzler, Kam- merherr und Kammerdiener, mit einer Geliebten, die er jetzt nicht geliebt haben, I 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/146>, abgerufen am 28.04.2024.