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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Wir armen Menschen! Unser Daseyn ist
Ein Leben ohne Leben. Meinungen
Beherrschen uns, seit wir Gesetze fanden,
Der Vor- und Nachwelt Meinungen. Wir
suchen
Dem Uebel zu entgehn und finden uns
Zum Uebel Vorwand.


Wer was er sagen soll, nicht saget, der
Ist immer lang und spräch' er nur zwei
Sylben.
Wer gut sagt, was er saget; ob er viel
Und lang' auch spräche, der spricht nie zu
lang.
Sieh den Homer. Er schrieb viel tausend
Worte,
Und wem schrieb er zu viel?

L 5

Wir armen Menſchen! Unſer Daſeyn iſt
Ein Leben ohne Leben. Meinungen
Beherrſchen uns, ſeit wir Geſetze fanden,
Der Vor- und Nachwelt Meinungen. Wir
ſuchen
Dem Uebel zu entgehn und finden uns
Zum Uebel Vorwand.


Wer was er ſagen ſoll, nicht ſaget, der
Iſt immer lang und ſpraͤch' er nur zwei
Sylben.
Wer gut ſagt, was er ſaget; ob er viel
Und lang' auch ſpraͤche, der ſpricht nie zu
lang.
Sieh den Homer. Er ſchrieb viel tauſend
Worte,
Und wem ſchrieb er zu viel?

L 5
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[165/0174] Wir armen Menſchen! Unſer Daſeyn iſt Ein Leben ohne Leben. Meinungen Beherrſchen uns, ſeit wir Geſetze fanden, Der Vor- und Nachwelt Meinungen. Wir ſuchen Dem Uebel zu entgehn und finden uns Zum Uebel Vorwand. Wer was er ſagen ſoll, nicht ſaget, der Iſt immer lang und ſpraͤch' er nur zwei Sylben. Wer gut ſagt, was er ſaget; ob er viel Und lang' auch ſpraͤche, der ſpricht nie zu lang. Sieh den Homer. Er ſchrieb viel tauſend Worte, Und wem ſchrieb er zu viel? L 5

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/174>, abgerufen am 27.04.2024.