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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

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tionen der Menschheit beleuchtet, so milde
beleuchtet, daß allenthalben das Licht aus
ihnen selbst zurückzustrahlen scheinet: da
ist er nicht nur ein Dichter der neuern
Zeit, sondern ein Spiegel für theatralische
Dichter aller Zeiten. Laßt dem alten gu-
ten W. Shakespeare alles was ihm
und seinen Zeiten gehört; gebt uns aber mit
seiner unendlichen Bescheidenheit, die nir-
gend in Person repräsentirt, in welchen
Gestalten es sei, so viel innere Charakte-
ristik, so viel tiefe und schneidende Wahr-
heit, als Er aus seiner alten Welt uns
darbrachte.

Mit Milton fängt sich die neuere
Englische Dichtkunst an; mich dünkt, er
zeige die Summe dessen, was Reflexion
in der Dichtkunst
zu leisten vermöge.
Der unglückliche blinde Mann war in Zei-
ten gefallen, in üble Zeiten

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tionen der Menſchheit beleuchtet, ſo milde
beleuchtet, daß allenthalben das Licht aus
ihnen ſelbſt zuruͤckzuſtrahlen ſcheinet: da
iſt er nicht nur ein Dichter der neuern
Zeit, ſondern ein Spiegel fuͤr theatraliſche
Dichter aller Zeiten. Laßt dem alten gu-
ten W. Shakeſpeare alles was ihm
und ſeinen Zeiten gehoͤrt; gebt uns aber mit
ſeiner unendlichen Beſcheidenheit, die nir-
gend in Perſon repraͤſentirt, in welchen
Geſtalten es ſei, ſo viel innere Charakte-
riſtik, ſo viel tiefe und ſchneidende Wahr-
heit, als Er aus ſeiner alten Welt uns
darbrachte.

Mit Milton faͤngt ſich die neuere
Engliſche Dichtkunſt an; mich duͤnkt, er
zeige die Summe deſſen, was Reflexion
in der Dichtkunſt
zu leiſten vermoͤge.
Der ungluͤckliche blinde Mann war in Zei-
ten gefallen, in uͤble Zeiten

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[83/0102] tionen der Menſchheit beleuchtet, ſo milde beleuchtet, daß allenthalben das Licht aus ihnen ſelbſt zuruͤckzuſtrahlen ſcheinet: da iſt er nicht nur ein Dichter der neuern Zeit, ſondern ein Spiegel fuͤr theatraliſche Dichter aller Zeiten. Laßt dem alten gu- ten W. Shakeſpeare alles was ihm und ſeinen Zeiten gehoͤrt; gebt uns aber mit ſeiner unendlichen Beſcheidenheit, die nir- gend in Perſon repraͤſentirt, in welchen Geſtalten es ſei, ſo viel innere Charakte- riſtik, ſo viel tiefe und ſchneidende Wahr- heit, als Er aus ſeiner alten Welt uns darbrachte. Mit Milton faͤngt ſich die neuere Engliſche Dichtkunſt an; mich duͤnkt, er zeige die Summe deſſen, was Reflexion in der Dichtkunſt zu leiſten vermoͤge. Der ungluͤckliche blinde Mann war in Zei- ten gefallen, in uͤble Zeiten F 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/102>, abgerufen am 29.04.2024.