Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Sachen saget, am Ende aber doch nichts
thut, als den menschlichen Verstand über
seine natürliche Höhe schrauben. Mich
wundert, daß man Young je für einen
tiefsinnigen Dichter gehalten hat; ein äußerst
witziger, parenthyrsisch- beredter, nach Ori-
ginalität aufstrebender Dichter ist er auf
allen Seiten. Reich an Gedanken und Bil-
dern, wußte er in ihnen weder Ziel noch
Maas; wie er auf Popes scherzhaften
Rath in Thomas von Aquino die Eng-
lische Theologie studirte, so würde er diese
allenfalls auch im Koran studirt haben.
Wenige Dichter sind daher mit so viel Vor-
sichtigkeit, wie Er, zu lesen; in seinen
Nachtgedanken, wie der Name sagt, ist er
als ein Denker zu prüfen und jede Co-
quetterie des Witzes für das zu halten,
was sie ist, wenn sie auch die heiligsten
Sachen beträfe.

Sachen ſaget, am Ende aber doch nichts
thut, als den menſchlichen Verſtand uͤber
ſeine natuͤrliche Hoͤhe ſchrauben. Mich
wundert, daß man Young je fuͤr einen
tiefſinnigen Dichter gehalten hat; ein aͤußerſt
witziger, parenthyrſiſch- beredter, nach Ori-
ginalitaͤt aufſtrebender Dichter iſt er auf
allen Seiten. Reich an Gedanken und Bil-
dern, wußte er in ihnen weder Ziel noch
Maas; wie er auf Popes ſcherzhaften
Rath in Thomas von Aquino die Eng-
liſche Theologie ſtudirte, ſo wuͤrde er dieſe
allenfalls auch im Koran ſtudirt haben.
Wenige Dichter ſind daher mit ſo viel Vor-
ſichtigkeit, wie Er, zu leſen; in ſeinen
Nachtgedanken, wie der Name ſagt, iſt er
als ein Denker zu pruͤfen und jede Co-
quetterie des Witzes fuͤr das zu halten,
was ſie iſt, wenn ſie auch die heiligſten
Sachen betraͤfe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="95"/>
Sachen &#x017F;aget, am Ende aber doch nichts<lb/>
thut, als den men&#x017F;chlichen Ver&#x017F;tand u&#x0364;ber<lb/>
&#x017F;eine natu&#x0364;rliche Ho&#x0364;he &#x017F;chrauben. Mich<lb/>
wundert, daß man <hi rendition="#g">Young</hi> je fu&#x0364;r einen<lb/>
tief&#x017F;innigen Dichter gehalten hat; ein a&#x0364;ußer&#x017F;t<lb/>
witziger, parenthyr&#x017F;i&#x017F;ch- beredter, nach Ori-<lb/>
ginalita&#x0364;t auf&#x017F;trebender Dichter i&#x017F;t er auf<lb/>
allen Seiten. Reich an Gedanken und Bil-<lb/>
dern, wußte er in ihnen weder Ziel noch<lb/>
Maas; wie er auf <hi rendition="#g">Popes</hi> &#x017F;cherzhaften<lb/>
Rath in <hi rendition="#g">Thomas</hi> von <hi rendition="#g">Aquino</hi> die Eng-<lb/>
li&#x017F;che Theologie &#x017F;tudirte, &#x017F;o wu&#x0364;rde er die&#x017F;e<lb/>
allenfalls auch im Koran &#x017F;tudirt haben.<lb/>
Wenige Dichter &#x017F;ind daher mit &#x017F;o viel Vor-<lb/>
&#x017F;ichtigkeit, wie Er, zu le&#x017F;en; in &#x017F;einen<lb/>
Nachtgedanken, wie der Name &#x017F;agt, i&#x017F;t er<lb/>
als ein <hi rendition="#g">Denker</hi> zu pru&#x0364;fen und jede <hi rendition="#g">Co</hi>-<lb/><hi rendition="#g">quetterie</hi> des Witzes fu&#x0364;r das zu halten,<lb/>
was &#x017F;ie i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie auch die heilig&#x017F;ten<lb/>
Sachen betra&#x0364;fe.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0114] Sachen ſaget, am Ende aber doch nichts thut, als den menſchlichen Verſtand uͤber ſeine natuͤrliche Hoͤhe ſchrauben. Mich wundert, daß man Young je fuͤr einen tiefſinnigen Dichter gehalten hat; ein aͤußerſt witziger, parenthyrſiſch- beredter, nach Ori- ginalitaͤt aufſtrebender Dichter iſt er auf allen Seiten. Reich an Gedanken und Bil- dern, wußte er in ihnen weder Ziel noch Maas; wie er auf Popes ſcherzhaften Rath in Thomas von Aquino die Eng- liſche Theologie ſtudirte, ſo wuͤrde er dieſe allenfalls auch im Koran ſtudirt haben. Wenige Dichter ſind daher mit ſo viel Vor- ſichtigkeit, wie Er, zu leſen; in ſeinen Nachtgedanken, wie der Name ſagt, iſt er als ein Denker zu pruͤfen und jede Co- quetterie des Witzes fuͤr das zu halten, was ſie iſt, wenn ſie auch die heiligſten Sachen betraͤfe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/114
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/114>, abgerufen am 29.04.2024.