Jener Amerikaner glaubte, daß in jedem Brief ein Geist eingeschlossen sei; ich wollte, daß ich diesem Briefe einen Geist einschlies- sen könnte, den Geist der Alten. Hören Sie darüber einen apokryphischen Schrift- steller.
"Gerade, als ob unser Lernen blos ein Erinnern wäre, weiset man uns immer auf die Denkmahle der Alten, den Geist blos durch das Gedächtniß zu bil- den. Wir wissen selbst nicht recht, was wir in den Griechen und Römern bis zur Abgötterei bewundern."
"Gleich einem Manne, der sein leiblich Angesicht im Spiegel beschaut, nachdem er sich aber beschauet hat, von Stundan davongeht und vergisset, wie er gestaltet
Nachſchrift.
Jener Amerikaner glaubte, daß in jedem Brief ein Geiſt eingeſchloſſen ſei; ich wollte, daß ich dieſem Briefe einen Geiſt einſchlieſ- ſen koͤnnte, den Geiſt der Alten. Hoͤren Sie daruͤber einen apokryphiſchen Schrift- ſteller.
„Gerade, als ob unſer Lernen blos ein Erinnern waͤre, weiſet man uns immer auf die Denkmahle der Alten, den Geiſt blos durch das Gedaͤchtniß zu bil- den. Wir wiſſen ſelbſt nicht recht, was wir in den Griechen und Roͤmern bis zur Abgoͤtterei bewundern.“
„Gleich einem Manne, der ſein leiblich Angeſicht im Spiegel beſchaut, nachdem er ſich aber beſchauet hat, von Stundan davongeht und vergiſſet, wie er geſtaltet
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Nachſchrift.
Jener Amerikaner glaubte, daß in jedem
Brief ein Geiſt eingeſchloſſen ſei; ich wollte,
daß ich dieſem Briefe einen Geiſt einſchlieſ-
ſen koͤnnte, den Geiſt der Alten. Hoͤren
Sie daruͤber einen apokryphiſchen Schrift-
ſteller.
„Gerade, als ob unſer Lernen blos
ein Erinnern waͤre, weiſet man uns
immer auf die Denkmahle der Alten, den
Geiſt blos durch das Gedaͤchtniß zu bil-
den. Wir wiſſen ſelbſt nicht recht, was
wir in den Griechen und Roͤmern bis zur
Abgoͤtterei bewundern.“
„Gleich einem Manne, der ſein leiblich
Angeſicht im Spiegel beſchaut, nachdem
er ſich aber beſchauet hat, von Stundan
davongeht und vergiſſet, wie er geſtaltet
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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/50>, abgerufen am 24.06.2022.
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