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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

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glaube, in seiner Leidenschaft nicht für die
Französische allein, sondern für jede Sprache,
sobald sie nur nicht die seinige ist. Nur in
dieser falschen und schiefen Neigung liegt es.
Seine Sprache ist jedes Ausdrucks empfän-
gig; warum bauet er sie nicht an, wie er soll-
te? Meinethalb lerne er auch Französisch;
nur auf eine Art, die ihm Ehre bringe und
nicht gar lächerlich macht. Er halte sich in
ihr an die unsterblichen Werke, die den Ruhm
Frankreichs ausmachen, und nähre sich in ih-
nen mit Geschmack. Geistige wie körperliche
Nahrung, wenn sie gedeihen soll, will geko-
stet, genossen werden. Man muß zu ihr von
einer Begierde, einem Hunger getrieben wer-
den, der nicht erkünstelt, nicht der Appetit ei-
ner verdorbenen Gesundheit sei. Die Deut-
sche Nation, im Grund' eine Nation von
vestem und edeln Sinn; (ein vester Sinn
aber haßt Frivolität, so wie ein edler Sinn
jedes Niederträchtigen Feind ist) um diesen
lobenswürdigen Eigenschaften treu zu bleiben

glaube, in ſeiner Leidenſchaft nicht fuͤr die
Franzoͤſiſche allein, ſondern fuͤr jede Sprache,
ſobald ſie nur nicht die ſeinige iſt. Nur in
dieſer falſchen und ſchiefen Neigung liegt es.
Seine Sprache iſt jedes Ausdrucks empfaͤn-
gig; warum bauet er ſie nicht an, wie er ſoll-
te? Meinethalb lerne er auch Franzoͤſiſch;
nur auf eine Art, die ihm Ehre bringe und
nicht gar laͤcherlich macht. Er halte ſich in
ihr an die unſterblichen Werke, die den Ruhm
Frankreichs ausmachen, und naͤhre ſich in ih-
nen mit Geſchmack. Geiſtige wie koͤrperliche
Nahrung, wenn ſie gedeihen ſoll, will geko-
ſtet, genoſſen werden. Man muß zu ihr von
einer Begierde, einem Hunger getrieben wer-
den, der nicht erkuͤnſtelt, nicht der Appetit ei-
ner verdorbenen Geſundheit ſei. Die Deut-
ſche Nation, im Grund' eine Nation von
veſtem und edeln Sinn; (ein veſter Sinn
aber haßt Frivolitaͤt, ſo wie ein edler Sinn
jedes Niedertraͤchtigen Feind iſt) um dieſen
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[40/0047] glaube, in ſeiner Leidenſchaft nicht fuͤr die Franzoͤſiſche allein, ſondern fuͤr jede Sprache, ſobald ſie nur nicht die ſeinige iſt. Nur in dieſer falſchen und ſchiefen Neigung liegt es. Seine Sprache iſt jedes Ausdrucks empfaͤn- gig; warum bauet er ſie nicht an, wie er ſoll- te? Meinethalb lerne er auch Franzoͤſiſch; nur auf eine Art, die ihm Ehre bringe und nicht gar laͤcherlich macht. Er halte ſich in ihr an die unſterblichen Werke, die den Ruhm Frankreichs ausmachen, und naͤhre ſich in ih- nen mit Geſchmack. Geiſtige wie koͤrperliche Nahrung, wenn ſie gedeihen ſoll, will geko- ſtet, genoſſen werden. Man muß zu ihr von einer Begierde, einem Hunger getrieben wer- den, der nicht erkuͤnſtelt, nicht der Appetit ei- ner verdorbenen Geſundheit ſei. Die Deut- ſche Nation, im Grund' eine Nation von veſtem und edeln Sinn; (ein veſter Sinn aber haßt Frivolitaͤt, ſo wie ein edler Sinn jedes Niedertraͤchtigen Feind iſt) um dieſen lobenswuͤrdigen Eigenſchaften treu zu bleiben

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/47>, abgerufen am 26.04.2024.