Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

srer Nation, in den Ständen, wo sie die
Erziehung leitete, oder vielmehr die ganze
Erziehung war, den Verstand verschoben,
das Herz verödet, überhaupt aber die See-
le an dem Wesentlichsten leer gelassen hat,
was dem Gemüth Freude an seinem Ge-
schlecht, an seiner Lage, an seinem Beruf
giebt; und sind dies nicht die süßesten
Freuden? haben Sie je den Cours einer
Deutsch-Französischen Erziehung kennen ge-
lernt? Für Deutsche eine schöne Einöde
und Wüste! --

Und doch bestehet der ganze Werth ei-
nes Menschen, seine bürgerliche Nutzbar-
keit, seine menschliche und bürgerliche
Glückseligkeit darinn, daß er von Ju-
gend auf den Kreis seiner Welt, seine
Geschäfte und Beziehungen, die Mittel und
Zwecke derselben, genau und aufs reinste
kennen lerne, daß er über sie im eigensten

ſrer Nation, in den Staͤnden, wo ſie die
Erziehung leitete, oder vielmehr die ganze
Erziehung war, den Verſtand verſchoben,
das Herz veroͤdet, uͤberhaupt aber die See-
le an dem Weſentlichſten leer gelaſſen hat,
was dem Gemuͤth Freude an ſeinem Ge-
ſchlecht, an ſeiner Lage, an ſeinem Beruf
giebt; und ſind dies nicht die ſuͤßeſten
Freuden? haben Sie je den Cours einer
Deutſch-Franzoͤſiſchen Erziehung kennen ge-
lernt? Fuͤr Deutſche eine ſchoͤne Einoͤde
und Wuͤſte! —

Und doch beſtehet der ganze Werth ei-
nes Menſchen, ſeine buͤrgerliche Nutzbar-
keit, ſeine menſchliche und buͤrgerliche
Gluͤckſeligkeit darinn, daß er von Ju-
gend auf den Kreis ſeiner Welt, ſeine
Geſchaͤfte und Beziehungen, die Mittel und
Zwecke derſelben, genau und aufs reinſte
kennen lerne, daß er uͤber ſie im eigenſten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0052" n="45"/>
&#x017F;rer Nation, in den Sta&#x0364;nden, wo &#x017F;ie die<lb/>
Erziehung leitete, oder vielmehr die ganze<lb/>
Erziehung war, den Ver&#x017F;tand ver&#x017F;choben,<lb/>
das Herz vero&#x0364;det, u&#x0364;berhaupt aber die See-<lb/>
le an dem We&#x017F;entlich&#x017F;ten leer gela&#x017F;&#x017F;en hat,<lb/>
was dem Gemu&#x0364;th Freude an &#x017F;einem Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht, an &#x017F;einer Lage, an &#x017F;einem Beruf<lb/>
giebt; und &#x017F;ind dies nicht die &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten<lb/>
Freuden? haben Sie je den Cours einer<lb/>
Deut&#x017F;ch-Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Erziehung kennen ge-<lb/>
lernt? Fu&#x0364;r Deut&#x017F;che eine &#x017F;cho&#x0364;ne Eino&#x0364;de<lb/>
und Wu&#x0364;&#x017F;te! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Und doch be&#x017F;tehet der ganze <hi rendition="#g">Werth</hi> ei-<lb/>
nes Men&#x017F;chen, &#x017F;eine bu&#x0364;rgerliche <hi rendition="#g">Nutzbar</hi>-<lb/><hi rendition="#g">keit</hi>, &#x017F;eine men&#x017F;chliche und bu&#x0364;rgerliche<lb/><hi rendition="#g">Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit</hi> darinn, daß er von Ju-<lb/>
gend auf den Kreis <hi rendition="#g">&#x017F;einer Welt</hi>, &#x017F;eine<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;fte und Beziehungen, die Mittel und<lb/>
Zwecke der&#x017F;elben, genau und aufs rein&#x017F;te<lb/>
kennen lerne, daß er u&#x0364;ber &#x017F;ie im eigen&#x017F;ten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0052] ſrer Nation, in den Staͤnden, wo ſie die Erziehung leitete, oder vielmehr die ganze Erziehung war, den Verſtand verſchoben, das Herz veroͤdet, uͤberhaupt aber die See- le an dem Weſentlichſten leer gelaſſen hat, was dem Gemuͤth Freude an ſeinem Ge- ſchlecht, an ſeiner Lage, an ſeinem Beruf giebt; und ſind dies nicht die ſuͤßeſten Freuden? haben Sie je den Cours einer Deutſch-Franzoͤſiſchen Erziehung kennen ge- lernt? Fuͤr Deutſche eine ſchoͤne Einoͤde und Wuͤſte! — Und doch beſtehet der ganze Werth ei- nes Menſchen, ſeine buͤrgerliche Nutzbar- keit, ſeine menſchliche und buͤrgerliche Gluͤckſeligkeit darinn, daß er von Ju- gend auf den Kreis ſeiner Welt, ſeine Geſchaͤfte und Beziehungen, die Mittel und Zwecke derſelben, genau und aufs reinſte kennen lerne, daß er uͤber ſie im eigenſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/52
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/52>, abgerufen am 07.05.2024.