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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Zweites Wäldchen.
meines Reisejournals auf den sandigen, morästigen
und immer ausschweifenden Weg vorbereite.

Man kennet Harduin, und seine, es sei nun aberwi-
tzigen oder leichtsinnigen Behauptungen, daß das mei-
ste Alterthum kein Alterthum sey. Mag aber hinter
seinen gelehrten Narrheiten auch so viel Jesuiterei ste-
cken, als da will--ich glaube, man hätte nur immer
summarisch gegen ihn verfahren, auf einzelne Ein-
würfe sich denn nur einlassen dörfen, wo diese durch
Sonderbarkeit und falschen Anstrich blenden könn-
ten. Viele von ihnen sind völlig unter einer Wi-
derlegung: keiner Aufmerksamkeit, keiner Antwort
werth. Viele sind Bäche, die sich von selbst im
Sande verlieren, wenn man die Quelle verstopft.
Viele fallen auf die Erde, wenn man nur den sta-
tum caussae,
den Punkt der Frage, nicht aus der
Acht lässet: und das letzte muß keiner, der einiger-
maßen gegen einen Harduin würdig schreiben will.
Bei einem lebenden, noch schreienden Autor kann
man es nöthig haben, auf einzelne nugas sich kritisch
herablassen zu müssen, wenn er nämlich eine Zunft
hat, die solche nugas anbetet: aber über Harduin
ist schon gerichtet. Die Nachwelt, so viele würdige
Männer, die über einen unsinnigen Todten urtheil-
ten, haben das Urtheil schon gegen ihn gesprochen:
das Urtheil ist allgemein angenommen: der Zustand
unsrer Litteratur macht, wenn auch hier und da noch
ein[e] neue Pilze, ein junger Harduin, aufschösse, eine

lange
N 4

Zweites Waͤldchen.
meines Reiſejournals auf den ſandigen, moraͤſtigen
und immer ausſchweifenden Weg vorbereite.

Man kennet Harduin, und ſeine, es ſei nun aberwi-
tzigen oder leichtſinnigen Behauptungen, daß das mei-
ſte Alterthum kein Alterthum ſey. Mag aber hinter
ſeinen gelehrten Narrheiten auch ſo viel Jeſuiterei ſte-
cken, als da will—ich glaube, man haͤtte nur immer
ſummariſch gegen ihn verfahren, auf einzelne Ein-
wuͤrfe ſich denn nur einlaſſen doͤrfen, wo dieſe durch
Sonderbarkeit und falſchen Anſtrich blenden koͤnn-
ten. Viele von ihnen ſind voͤllig unter einer Wi-
derlegung: keiner Aufmerkſamkeit, keiner Antwort
werth. Viele ſind Baͤche, die ſich von ſelbſt im
Sande verlieren, wenn man die Quelle verſtopft.
Viele fallen auf die Erde, wenn man nur den ſta-
tum cauſſae,
den Punkt der Frage, nicht aus der
Acht laͤſſet: und das letzte muß keiner, der einiger-
maßen gegen einen Harduin wuͤrdig ſchreiben will.
Bei einem lebenden, noch ſchreienden Autor kann
man es noͤthig haben, auf einzelne nugas ſich kritiſch
herablaſſen zu muͤſſen, wenn er naͤmlich eine Zunft
hat, die ſolche nugas anbetet: aber uͤber Harduin
iſt ſchon gerichtet. Die Nachwelt, ſo viele wuͤrdige
Maͤnner, die uͤber einen unſinnigen Todten urtheil-
ten, haben das Urtheil ſchon gegen ihn geſprochen:
das Urtheil iſt allgemein angenommen: der Zuſtand
unſrer Litteratur macht, wenn auch hier und da noch
ein[e] neue Pilze, ein junger Harduin, aufſchoͤſſe, eine

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[199/0205] Zweites Waͤldchen. meines Reiſejournals auf den ſandigen, moraͤſtigen und immer ausſchweifenden Weg vorbereite. Man kennet Harduin, und ſeine, es ſei nun aberwi- tzigen oder leichtſinnigen Behauptungen, daß das mei- ſte Alterthum kein Alterthum ſey. Mag aber hinter ſeinen gelehrten Narrheiten auch ſo viel Jeſuiterei ſte- cken, als da will—ich glaube, man haͤtte nur immer ſummariſch gegen ihn verfahren, auf einzelne Ein- wuͤrfe ſich denn nur einlaſſen doͤrfen, wo dieſe durch Sonderbarkeit und falſchen Anſtrich blenden koͤnn- ten. Viele von ihnen ſind voͤllig unter einer Wi- derlegung: keiner Aufmerkſamkeit, keiner Antwort werth. Viele ſind Baͤche, die ſich von ſelbſt im Sande verlieren, wenn man die Quelle verſtopft. Viele fallen auf die Erde, wenn man nur den ſta- tum cauſſae, den Punkt der Frage, nicht aus der Acht laͤſſet: und das letzte muß keiner, der einiger- maßen gegen einen Harduin wuͤrdig ſchreiben will. Bei einem lebenden, noch ſchreienden Autor kann man es noͤthig haben, auf einzelne nugas ſich kritiſch herablaſſen zu muͤſſen, wenn er naͤmlich eine Zunft hat, die ſolche nugas anbetet: aber uͤber Harduin iſt ſchon gerichtet. Die Nachwelt, ſo viele wuͤrdige Maͤnner, die uͤber einen unſinnigen Todten urtheil- ten, haben das Urtheil ſchon gegen ihn geſprochen: das Urtheil iſt allgemein angenommen: der Zuſtand unſrer Litteratur macht, wenn auch hier und da noch eine neue Pilze, ein junger Harduin, aufſchoͤſſe, eine lange N 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/205>, abgerufen am 29.04.2024.