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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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ker nach bloßen Gebräuchen leben, ehe sie Ge-
sezze haben. Die Gebräuche werden zu
Gewohnheiten, und so ward auch die Con-
struktionsordnung dazu, doch daß ihre Ueber-
tretung noch keine Sünde war.

Endlich näherte sie sich dem Ansehen ei-
nes Gesezzes, da die Büchersprache auf-
kam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die
Jnversionen erläutert hatte. "Denn dem
"Sprechenden helfen seine Gebärden und der
"Ton der Stimme den wahren Verstand be-
"stimmen; da hingegen alles dies im Buche
"wegfällt." * Man muste also einer ge-
wissen Ordnung folgen, um dem Lesenden
verständlich zu werden; indessen war diese
noch sehr frei, wie die ursprünglichen ältesten
Griechischen und Römischen Dichter bezeugen,
denen keine neuere Sprache ihre Verändrun-
gen nachmachen kann.

Man bestimmte die Ordnung der Wor-
te
so lange, bis man endlich den Prosaischen
Perioden herausdrechselte, der der Ordnung
der Jdeen, so wie sie sich der Verstand bildet,

folg-
* Litt. Br. Th. 17. p. 186.

ker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Ge-
ſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu
Gewohnheiten, und ſo ward auch die Con-
ſtruktionsordnung dazu, doch daß ihre Ueber-
tretung noch keine Suͤnde war.

Endlich naͤherte ſie ſich dem Anſehen ei-
nes Geſezzes, da die Buͤcherſprache auf-
kam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die
Jnverſionen erlaͤutert hatte. „Denn dem
„Sprechenden helfen ſeine Gebaͤrden und der
„Ton der Stimme den wahren Verſtand be-
„ſtimmen; da hingegen alles dies im Buche
„wegfaͤllt.„ * Man muſte alſo einer ge-
wiſſen Ordnung folgen, um dem Leſenden
verſtaͤndlich zu werden; indeſſen war dieſe
noch ſehr frei, wie die urſpruͤnglichen aͤlteſten
Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter bezeugen,
denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrun-
gen nachmachen kann.

Man beſtimmte die Ordnung der Wor-
te
ſo lange, bis man endlich den Proſaiſchen
Perioden herausdrechſelte, der der Ordnung
der Jdeen, ſo wie ſie ſich der Verſtand bildet,

folg-
* Litt. Br. Th. 17. p. 186.
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[100/0104] ker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Ge- ſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten, und ſo ward auch die Con- ſtruktionsordnung dazu, doch daß ihre Ueber- tretung noch keine Suͤnde war. Endlich naͤherte ſie ſich dem Anſehen ei- nes Geſezzes, da die Buͤcherſprache auf- kam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die Jnverſionen erlaͤutert hatte. „Denn dem „Sprechenden helfen ſeine Gebaͤrden und der „Ton der Stimme den wahren Verſtand be- „ſtimmen; da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.„ * Man muſte alſo einer ge- wiſſen Ordnung folgen, um dem Leſenden verſtaͤndlich zu werden; indeſſen war dieſe noch ſehr frei, wie die urſpruͤnglichen aͤlteſten Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter bezeugen, denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrun- gen nachmachen kann. Man beſtimmte die Ordnung der Wor- te ſo lange, bis man endlich den Proſaiſchen Perioden herausdrechſelte, der der Ordnung der Jdeen, ſo wie ſie ſich der Verſtand bildet, folg- * Litt. Br. Th. 17. p. 186.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/104>, abgerufen am 05.05.2024.