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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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spätern Prosaisten noch mehr, und Plutarchs
Stil kommt mir in Betracht dessen gegen He-
rodot,
vor, als eine Kanzleischrift voll alldie-
weil, sintemalen
und anerwogen, gegen
die flüssende gemeine Sprache. Wie unrecht
denken die also, die Orientalisch zu schreiben
glauben, wenn sie das Und vor jeden Perio-
den, und jedes Glied desselben sezzen; und
unausstehlich im Deutschen werden, ohne den
Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.

"Durch was für Künste haben es die Fran-
"zosen dahin gebracht, daß man ihre Sprache,
"die Sprache der Vernunft nennet?)" Jch
glaube, drei Ursachen dazu angeben zu können.
Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch
welche Ursachen es auch seyn möge, eine ge-
wisse Regelmäßigkeit sich eingedrückt, die un-
sere Sprache nicht hat. Da ihre Construk-
tionsordnung sehr bestimmt ist: so kommt man
minder in die Verlegenheit, sich schielend aus-
zudrücken. Zweitens: in den mitlern Zei-
ten hat man an sie so viel Politur angewandt,
als nicht viel andere Sprachen erhalten ha-
ben: zu einer Zeit, da Deutschland noch Bar-
barisch oder Lateinisch schrieb, feilte man

schon

ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs
Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen He-
rodot,
vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldie-
weil, ſintemalen
und anerwogen, gegen
die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht
denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben
glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perio-
den, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und
unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den
Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.

„Durch was fuͤr Kuͤnſte haben es die Fran-
„zoſen dahin gebracht, daß man ihre Sprache,
„die Sprache der Vernunft nennet?)„ Jch
glaube, drei Urſachen dazu angeben zu koͤnnen.
Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch
welche Urſachen es auch ſeyn moͤge, eine ge-
wiſſe Regelmaͤßigkeit ſich eingedruͤckt, die un-
ſere Sprache nicht hat. Da ihre Conſtruk-
tionsordnung ſehr beſtimmt iſt: ſo kommt man
minder in die Verlegenheit, ſich ſchielend aus-
zudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zei-
ten hat man an ſie ſo viel Politur angewandt,
als nicht viel andere Sprachen erhalten ha-
ben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Bar-
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[172/0176] ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen He- rodot, vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldie- weil, ſintemalen und anerwogen, gegen die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perio- den, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen. „Durch was fuͤr Kuͤnſte haben es die Fran- „zoſen dahin gebracht, daß man ihre Sprache, „die Sprache der Vernunft nennet?)„ Jch glaube, drei Urſachen dazu angeben zu koͤnnen. Jhre Sprache hat bei ihrer Bildung, durch welche Urſachen es auch ſeyn moͤge, eine ge- wiſſe Regelmaͤßigkeit ſich eingedruͤckt, die un- ſere Sprache nicht hat. Da ihre Conſtruk- tionsordnung ſehr beſtimmt iſt: ſo kommt man minder in die Verlegenheit, ſich ſchielend aus- zudruͤcken. Zweitens: in den mitlern Zei- ten hat man an ſie ſo viel Politur angewandt, als nicht viel andere Sprachen erhalten ha- ben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Bar- bariſch oder Lateiniſch ſchrieb, feilte man ſchon

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/176>, abgerufen am 30.04.2024.