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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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schon sehr die Französische Sprache, weil die
Franzosen immer lieber für ein Publikum und
schönes Publikum schreiben, wenn der Deutsche
für Studirstuben und Katheder schrieb. So
wie schon die alten Gallier zur höchsten
Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben:
so ist das schöne Geschlecht auch immer
der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreises ge-
blieben: man sah die Bücher immer mehr
für schriftliche Gespräche, für Unterredungen
im schönen Ton an: und gab sich also die un-
terhaltende Miene eines Vernünftlers. Statt
daß ich drittens an alle die öffentliche An-
stalten gedenken sollte, die der Sprache auf-
geholfen, will ich blos dazu sezzen, daß die
Französische Sprache auch nichts wäre, wenn
sie nicht dies Lob erbeutet hätte: zur Musik
elend; wässerich, Nervenlos, unharmonisch
für die Poesie; zu unbestimmt für die hohe
Weltweisheit, hat sie ihr Glück eben durch
eine Mittelmäßigkeit gemacht, die weder in
Weltweisheit noch Dichtkunst eine hohe
Stuffe erreicht. Premontval * urtheilt

nicht
* Premontval preservatif contre la corru-
ption P.
1.

ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die
Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und
ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche
fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So
wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten
Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben:
ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer
der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes ge-
blieben: man ſah die Buͤcher immer mehr
fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen
im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die un-
terhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt
daß ich drittens an alle die oͤffentliche An-
ſtalten gedenken ſollte, die der Sprache auf-
geholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die
Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn
ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik
elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch
fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe
Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch
eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in
Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe
Stuffe erreicht. Premontval * urtheilt

nicht
* Premontval préſervatif contre la corru-
ption P.
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[173/0177] ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes ge- blieben: man ſah die Buͤcher immer mehr fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die un- terhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche An- ſtalten gedenken ſollte, die der Sprache auf- geholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe Stuffe erreicht. Premontval * urtheilt nicht * Premontval préſervatif contre la corru- ption P. 1.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/177>, abgerufen am 30.04.2024.