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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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mit Goldstücken: sie sprachen durch Bilder;
wir höchstens mit Bildern, und die bilder-
volle Sprache unsrer schildernden Dichter
verhält sich zu den ältesten Poeten, wie ein
Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum
Bilde in einem Zuge. Leset den Homer, und
denn leset Klopstock; jener malet, indem er
spricht; er malet lebende Natur und Politi-
sche Welt: dieser spricht um zu malen, er
schildert; und um neu zu seyn: eine ganz
andre Welt; die Welt der Seele und der
Gedanken, da jener sie hingegen in Körper
kleidet und spricht: Laß sie selbst reden!

Die Oekonomie der Morgenländer war
reich an Knechten; so ist es auch ihre Spra-
che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne
Zweifel nichts minder als Philosophen, druck-
ten natürlicher Weise das durch ein neues
Wort aus, was sie noch nicht unter einen
andern Begrif zu ordnen wußten. So ent-
standen Synonyme, die dem Dichter eben
so vortheilhaft waren, als sie dem Gramma-
tischen Philosophen zum Aergerniß gereichen.
Der Arabische Dichter, der zum Löwen 500
Wörter hat, die verschiedene Zustände dessel-

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mit Goldſtuͤcken: ſie ſprachen durch Bilder;
wir hoͤchſtens mit Bildern, und die bilder-
volle Sprache unſrer ſchildernden Dichter
verhaͤlt ſich zu den aͤlteſten Poeten, wie ein
Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum
Bilde in einem Zuge. Leſet den Homer, und
denn leſet Klopſtock; jener malet, indem er
ſpricht; er malet lebende Natur und Politi-
ſche Welt: dieſer ſpricht um zu malen, er
ſchildert; und um neu zu ſeyn: eine ganz
andre Welt; die Welt der Seele und der
Gedanken, da jener ſie hingegen in Koͤrper
kleidet und ſpricht: Laß ſie ſelbſt reden!

Die Oekonomie der Morgenlaͤnder war
reich an Knechten; ſo iſt es auch ihre Spra-
che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne
Zweifel nichts minder als Philoſophen, druck-
ten natuͤrlicher Weiſe das durch ein neues
Wort aus, was ſie noch nicht unter einen
andern Begrif zu ordnen wußten. So ent-
ſtanden Synonyme, die dem Dichter eben
ſo vortheilhaft waren, als ſie dem Gramma-
tiſchen Philoſophen zum Aergerniß gereichen.
Der Arabiſche Dichter, der zum Loͤwen 500
Woͤrter hat, die verſchiedene Zuſtaͤnde deſſel-

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[55/0059] mit Goldſtuͤcken: ſie ſprachen durch Bilder; wir hoͤchſtens mit Bildern, und die bilder- volle Sprache unſrer ſchildernden Dichter verhaͤlt ſich zu den aͤlteſten Poeten, wie ein Exempel zur Allegorie, wie eine Allegorie zum Bilde in einem Zuge. Leſet den Homer, und denn leſet Klopſtock; jener malet, indem er ſpricht; er malet lebende Natur und Politi- ſche Welt: dieſer ſpricht um zu malen, er ſchildert; und um neu zu ſeyn: eine ganz andre Welt; die Welt der Seele und der Gedanken, da jener ſie hingegen in Koͤrper kleidet und ſpricht: Laß ſie ſelbſt reden! Die Oekonomie der Morgenlaͤnder war reich an Knechten; ſo iſt es auch ihre Spra- che.) Die Erfinder der Sprachen, ohne Zweifel nichts minder als Philoſophen, druck- ten natuͤrlicher Weiſe das durch ein neues Wort aus, was ſie noch nicht unter einen andern Begrif zu ordnen wußten. So ent- ſtanden Synonyme, die dem Dichter eben ſo vortheilhaft waren, als ſie dem Gramma- tiſchen Philoſophen zum Aergerniß gereichen. Der Arabiſche Dichter, der zum Loͤwen 500 Woͤrter hat, die verſchiedene Zuſtaͤnde deſſel- ben D 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/59>, abgerufen am 29.04.2024.