Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

er mehr vom Virgil zu machen, und ist
auch eher Virgilianisch als Homerisch.
Vielleicht besingt er, als ein heiliger Virgil,
die Gegenstände des Orients; und vielleicht
reizt eben dieses Virgiliansche mehr, als das
Seltene in seinem Gedichte. -- Aber Ho-
mer? Ja! wenn ich Klopstocks Jnhalt der
Gesänge läse; so denke ich (wer wird dies
nicht für wunderlich halten) bei den Summa-
rien denke ich noch an den Rhapsodisten; aber
bei dem Gedichte selbst nicht mehr. Der
große Reichthum von Worten, von schönem
Ausdruck, von Malereien auf der Oberfläche;
von ausgeführten Gleichnissen, reißt mich
fort, daß ich nicht Auffodrung gnug habe,
jenen Griechischen Sänger in ihm zu suchen,
der arm an Worten und reich an Handlung
war; der jede Schönheit seiner Bildung tief
eindrückt, und seine Jdeen nicht malt, son-
dern mit lebendigen Körpern umhüllet, die
von Morgenröthe stralen. Vielleicht ist es
für K. die gröste Ehre, wie ich deßhalb an
das Zeugniß eines Franzosen mich erinnere,
gar kein Homerisches Bild gebraucht zu ha-
ben: vielleicht ist es unsrer geistigern Zeit

gemäßer,

er mehr vom Virgil zu machen, und iſt
auch eher Virgilianiſch als Homeriſch.
Vielleicht beſingt er, als ein heiliger Virgil,
die Gegenſtaͤnde des Orients; und vielleicht
reizt eben dieſes Virgilianſche mehr, als das
Seltene in ſeinem Gedichte. — Aber Ho-
mer? Ja! wenn ich Klopſtocks Jnhalt der
Geſaͤnge laͤſe; ſo denke ich (wer wird dies
nicht fuͤr wunderlich halten) bei den Summa-
rien denke ich noch an den Rhapſodiſten; aber
bei dem Gedichte ſelbſt nicht mehr. Der
große Reichthum von Worten, von ſchoͤnem
Ausdruck, von Malereien auf der Oberflaͤche;
von ausgefuͤhrten Gleichniſſen, reißt mich
fort, daß ich nicht Auffodrung gnug habe,
jenen Griechiſchen Saͤnger in ihm zu ſuchen,
der arm an Worten und reich an Handlung
war; der jede Schoͤnheit ſeiner Bildung tief
eindruͤckt, und ſeine Jdeen nicht malt, ſon-
dern mit lebendigen Koͤrpern umhuͤllet, die
von Morgenroͤthe ſtralen. Vielleicht iſt es
fuͤr K. die groͤſte Ehre, wie ich deßhalb an
das Zeugniß eines Franzoſen mich erinnere,
gar kein Homeriſches Bild gebraucht zu ha-
ben: vielleicht iſt es unſrer geiſtigern Zeit

gemaͤßer,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0110" n="278"/>
er mehr vom <hi rendition="#fr">Virgil</hi> zu machen, und i&#x017F;t<lb/>
auch eher <hi rendition="#fr">Virgiliani&#x017F;ch</hi> als <hi rendition="#fr">Homeri&#x017F;ch.</hi><lb/>
Vielleicht be&#x017F;ingt er, als ein heiliger <hi rendition="#fr">Virgil,</hi><lb/>
die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde des Orients; und vielleicht<lb/>
reizt eben die&#x017F;es Virgilian&#x017F;che mehr, als das<lb/><hi rendition="#fr">Seltene</hi> in &#x017F;einem Gedichte. &#x2014; Aber Ho-<lb/>
mer? Ja! wenn ich Klop&#x017F;tocks Jnhalt der<lb/>
Ge&#x017F;a&#x0364;nge la&#x0364;&#x017F;e; &#x017F;o denke ich (wer wird dies<lb/>
nicht fu&#x0364;r wunderlich halten) bei den Summa-<lb/>
rien denke ich noch an den Rhap&#x017F;odi&#x017F;ten; aber<lb/>
bei dem Gedichte &#x017F;elb&#x017F;t nicht mehr. Der<lb/>
große Reichthum von Worten, von &#x017F;cho&#x0364;nem<lb/>
Ausdruck, von Malereien auf der Oberfla&#x0364;che;<lb/>
von ausgefu&#x0364;hrten Gleichni&#x017F;&#x017F;en, reißt mich<lb/>
fort, daß ich nicht Auffodrung gnug habe,<lb/>
jenen Griechi&#x017F;chen Sa&#x0364;nger in ihm zu &#x017F;uchen,<lb/>
der arm an Worten und reich an Handlung<lb/>
war; der jede Scho&#x0364;nheit &#x017F;einer Bildung tief<lb/>
eindru&#x0364;ckt, und &#x017F;eine Jdeen nicht malt, &#x017F;on-<lb/>
dern mit lebendigen Ko&#x0364;rpern umhu&#x0364;llet, die<lb/>
von Morgenro&#x0364;the &#x017F;tralen. Vielleicht i&#x017F;t es<lb/>
fu&#x0364;r K. die gro&#x0364;&#x017F;te Ehre, wie ich deßhalb an<lb/>
das Zeugniß eines Franzo&#x017F;en mich erinnere,<lb/>
gar kein Homeri&#x017F;ches Bild gebraucht zu ha-<lb/>
ben: vielleicht i&#x017F;t es un&#x017F;rer <hi rendition="#fr">gei&#x017F;tigern</hi> Zeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gema&#x0364;ßer,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0110] er mehr vom Virgil zu machen, und iſt auch eher Virgilianiſch als Homeriſch. Vielleicht beſingt er, als ein heiliger Virgil, die Gegenſtaͤnde des Orients; und vielleicht reizt eben dieſes Virgilianſche mehr, als das Seltene in ſeinem Gedichte. — Aber Ho- mer? Ja! wenn ich Klopſtocks Jnhalt der Geſaͤnge laͤſe; ſo denke ich (wer wird dies nicht fuͤr wunderlich halten) bei den Summa- rien denke ich noch an den Rhapſodiſten; aber bei dem Gedichte ſelbſt nicht mehr. Der große Reichthum von Worten, von ſchoͤnem Ausdruck, von Malereien auf der Oberflaͤche; von ausgefuͤhrten Gleichniſſen, reißt mich fort, daß ich nicht Auffodrung gnug habe, jenen Griechiſchen Saͤnger in ihm zu ſuchen, der arm an Worten und reich an Handlung war; der jede Schoͤnheit ſeiner Bildung tief eindruͤckt, und ſeine Jdeen nicht malt, ſon- dern mit lebendigen Koͤrpern umhuͤllet, die von Morgenroͤthe ſtralen. Vielleicht iſt es fuͤr K. die groͤſte Ehre, wie ich deßhalb an das Zeugniß eines Franzoſen mich erinnere, gar kein Homeriſches Bild gebraucht zu ha- ben: vielleicht iſt es unſrer geiſtigern Zeit gemaͤßer,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/110
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/110>, abgerufen am 27.04.2024.