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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Hipparchus, der Sohn des Pisistratus, u[n]-
ter vielen andern Proben der Wetsheit, auch
des Homers Bücher zuerst nach Athen ge-
bracht, und die Rhapsodisten angetrleben, sie
bei den öffentlichen Spielen zu lesen; eine Ge-
wohnheit, die bis an Platons Zeiten relchte.
Wo sind nun die Panathenäa, wo unser Ho-
mer unserm Volk vorgelesen und erkläret
wird? -- Jch sage: erklärt ward: benn
dies zeigt Platons ganzes Gespräch: Jo --
eine Unterredung, deren Name schon gnug ist,
daß jeder, der sie gelesen, das vorige eben so
wenig
einschränken wird. Mit welchem
Enthusiasmus sprach Jo, im Namen aller
Rhapsodisten vom Homer? Konnte er ihn
nicht bis auf ein Wort auswendig? War es
nicht alle seine Arbeit, sein ganzer Lebenslauf
vor dem Tode, und auf dem Leichensteine, die-
ser hat den Homer auswendig gewust, am
besten deklamiren, am gründlichsten erklären
können! Was richtete nicht seine Rhapsodie
bei dem Volke aus? -- Und das alles, oh-
ne Homer mehr zu verstehen, als unser Volk
den Klopstock? Jch glaube, die Parallelli-
[n]ien neigen sich von einander; und sie ent-

fernen

Hipparchus, der Sohn des Piſiſtratus, u[n]-
ter vielen andern Proben der Wetsheit, auch
des Homers Buͤcher zuerſt nach Athen ge-
bracht, und die Rhapſodiſten angetrleben, ſie
bei den oͤffentlichen Spielen zu leſen; eine Ge-
wohnheit, die bis an Platons Zeiten relchte.
Wo ſind nun die Panathenaͤa, wo unſer Ho-
mer unſerm Volk vorgeleſen und erklaͤret
wird? — Jch ſage: erklaͤrt ward: benn
dies zeigt Platons ganzes Geſpraͤch: Jo —
eine Unterredung, deren Name ſchon gnug iſt,
daß jeder, der ſie geleſen, das vorige eben ſo
wenig
einſchraͤnken wird. Mit welchem
Enthuſiaſmus ſprach Jo, im Namen aller
Rhapſodiſten vom Homer? Konnte er ihn
nicht bis auf ein Wort auswendig? War es
nicht alle ſeine Arbeit, ſein ganzer Lebenslauf
vor dem Tode, und auf dem Leichenſteine, die-
ſer hat den Homer auswendig gewuſt, am
beſten deklamiren, am gruͤndlichſten erklaͤren
koͤnnen! Was richtete nicht ſeine Rhapſodie
bei dem Volke aus? — Und das alles, oh-
ne Homer mehr zu verſtehen, als unſer Volk
den Klopſtock? Jch glaube, die Parallelli-
[n]ien neigen ſich von einander; und ſie ent-

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[282/0114] Hipparchus, der Sohn des Piſiſtratus, un- ter vielen andern Proben der Wetsheit, auch des Homers Buͤcher zuerſt nach Athen ge- bracht, und die Rhapſodiſten angetrleben, ſie bei den oͤffentlichen Spielen zu leſen; eine Ge- wohnheit, die bis an Platons Zeiten relchte. Wo ſind nun die Panathenaͤa, wo unſer Ho- mer unſerm Volk vorgeleſen und erklaͤret wird? — Jch ſage: erklaͤrt ward: benn dies zeigt Platons ganzes Geſpraͤch: Jo — eine Unterredung, deren Name ſchon gnug iſt, daß jeder, der ſie geleſen, das vorige eben ſo wenig einſchraͤnken wird. Mit welchem Enthuſiaſmus ſprach Jo, im Namen aller Rhapſodiſten vom Homer? Konnte er ihn nicht bis auf ein Wort auswendig? War es nicht alle ſeine Arbeit, ſein ganzer Lebenslauf vor dem Tode, und auf dem Leichenſteine, die- ſer hat den Homer auswendig gewuſt, am beſten deklamiren, am gruͤndlichſten erklaͤren koͤnnen! Was richtete nicht ſeine Rhapſodie bei dem Volke aus? — Und das alles, oh- ne Homer mehr zu verſtehen, als unſer Volk den Klopſtock? Jch glaube, die Parallelli- nien neigen ſich von einander; und ſie ent- fernen

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/114>, abgerufen am 28.04.2024.