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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Väter, die Häupter ihrer Familien, die Stif-
ter ihrer Staaten, und die Ueberwinder ih-
rer Erbfeinde waren -- Unsere Leser der
Deutschen Homere gehen vermuthlich in Bein-
kleidern oder langen Röcken nach Französi-
schem Schnitt: sie lesen statt Mythologien
Gellertsche Fabeln, und statt Hexameter und
Rhapsodien singen sie Kirchenlieder. Nach
der Bekanntschaft und Bildung des Geschmacks
ist entweder Gellert unser Homer; oder
er soll noch geboren werden. Denen, die
darüber staunen, wie Gellert und Homer
zusammen kommt, schreibe ich eine Stelle
ab, die richtig gnug ist: *

"Für ganz Deutschland ist es ohne Wider-
"spruch Gellert, dessen Fabeln wirklich dem
"Geschmack der ganzen Nation eine neue
"Hülfe gegeben haben. (Fragt die erste, die
"beste Landpredigertochter nach Gellerts Fa-
"beln? die kennt sie -- nach den Werken andrer
"unsrer berühmten Dichter? kein Wort.) --
"Nach und nach haben sie sich in die Häuser
"eingeschlichen. Dadurch ist das Gute in
"der Dichtkunst in Exempeln und nicht in Re-

"geln
* Abbt vom Verdienst p. 367. 77.

Vaͤter, die Haͤupter ihrer Familien, die Stif-
ter ihrer Staaten, und die Ueberwinder ih-
rer Erbfeinde waren — Unſere Leſer der
Deutſchen Homere gehen vermuthlich in Bein-
kleidern oder langen Roͤcken nach Franzoͤſi-
ſchem Schnitt: ſie leſen ſtatt Mythologien
Gellertſche Fabeln, und ſtatt Hexameter und
Rhapſodien ſingen ſie Kirchenlieder. Nach
der Bekanntſchaft und Bildung des Geſchmacks
iſt entweder Gellert unſer Homer; oder
er ſoll noch geboren werden. Denen, die
daruͤber ſtaunen, wie Gellert und Homer
zuſammen kommt, ſchreibe ich eine Stelle
ab, die richtig gnug iſt: *

„Fuͤr ganz Deutſchland iſt es ohne Wider-
„ſpruch Gellert, deſſen Fabeln wirklich dem
„Geſchmack der ganzen Nation eine neue
„Huͤlfe gegeben haben. (Fragt die erſte, die
„beſte Landpredigertochter nach Gellerts Fa-
„beln? die kennt ſie — nach den Werken andrer
„unſrer beruͤhmten Dichter? kein Wort.) —
„Nach und nach haben ſie ſich in die Haͤuſer
„eingeſchlichen. Dadurch iſt das Gute in
„der Dichtkunſt in Exempeln und nicht in Re-

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* Abbt vom Verdienſt p. 367. 77.
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[287/0119] Vaͤter, die Haͤupter ihrer Familien, die Stif- ter ihrer Staaten, und die Ueberwinder ih- rer Erbfeinde waren — Unſere Leſer der Deutſchen Homere gehen vermuthlich in Bein- kleidern oder langen Roͤcken nach Franzoͤſi- ſchem Schnitt: ſie leſen ſtatt Mythologien Gellertſche Fabeln, und ſtatt Hexameter und Rhapſodien ſingen ſie Kirchenlieder. Nach der Bekanntſchaft und Bildung des Geſchmacks iſt entweder Gellert unſer Homer; oder er ſoll noch geboren werden. Denen, die daruͤber ſtaunen, wie Gellert und Homer zuſammen kommt, ſchreibe ich eine Stelle ab, die richtig gnug iſt: * „Fuͤr ganz Deutſchland iſt es ohne Wider- „ſpruch Gellert, deſſen Fabeln wirklich dem „Geſchmack der ganzen Nation eine neue „Huͤlfe gegeben haben. (Fragt die erſte, die „beſte Landpredigertochter nach Gellerts Fa- „beln? die kennt ſie — nach den Werken andrer „unſrer beruͤhmten Dichter? kein Wort.) — „Nach und nach haben ſie ſich in die Haͤuſer „eingeſchlichen. Dadurch iſt das Gute in „der Dichtkunſt in Exempeln und nicht in Re- „geln * Abbt vom Verdienſt p. 367. 77.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/119>, abgerufen am 27.04.2024.