Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

daß wir nach den überbliebenen Nachrichten
keine Dithyramben machen können; --
höchstens! daß der Verfasser keine gemacht.
Womit behauptet er es, daß jeder neue Ge-
schmack verkehrt seyn muß, der von den Re-
geln des weisen Alterthums abgeht? Warum
ist ein Deutsches Heldengedicht, eine Ode,
eine Dithyrambe ohne Griechische und Latei-
nische Muster denn an sich unmöglich? Was
thun die Pindarischen Oden des Leipziger Pro-
fessors hier zur Sache? Auf welcher Classe
muß denn der Dithyrambist sizzen, wenn er den
Pindar intus et in cute kennen lernen, den gan-
zen Poeten in succum et sanguinem verti-
ren, und absolut erst nach 20 Jahren Jmi-
tationen nach der Pindarischen Digreßion über
den Berg Aetna machen soll? Welch ein
Schulton herrscht so durchgängig, so insonder-
heit S. 59 - 61. Welche Sammlung von
Pindarischen Beiwörtern soll man (p. 70.)
Friedrich geben? Wie lange muß noch der
Dithyrambist Mythologie lernen, um nicht
ihr System niederreissen zu wollen? Jst es
wahr, daß Pindar sich keine Jnversionen des
Fabelsystems erlaubt, und alles so stehen läßt,

wie

daß wir nach den uͤberbliebenen Nachrichten
keine Dithyramben machen koͤnnen;
hoͤchſtens! daß der Verfaſſer keine gemacht.
Womit behauptet er es, daß jeder neue Ge-
ſchmack verkehrt ſeyn muß, der von den Re-
geln des weiſen Alterthums abgeht? Warum
iſt ein Deutſches Heldengedicht, eine Ode,
eine Dithyrambe ohne Griechiſche und Latei-
niſche Muſter denn an ſich unmoͤglich? Was
thun die Pindariſchen Oden des Leipziger Pro-
feſſors hier zur Sache? Auf welcher Claſſe
muß denn der Dithyrambiſt ſizzen, wenn er den
Pindar intus et in cute kennen lernen, den gan-
zen Poeten in ſuccum et ſanguinem verti-
ren, und abſolut erſt nach 20 Jahren Jmi-
tationen nach der Pindariſchen Digreßion uͤber
den Berg Aetna machen ſoll? Welch ein
Schulton herrſcht ſo durchgaͤngig, ſo inſonder-
heit S. 59 - 61. Welche Sammlung von
Pindariſchen Beiwoͤrtern ſoll man (p. 70.)
Friedrich geben? Wie lange muß noch der
Dithyrambiſt Mythologie lernen, um nicht
ihr Syſtem niederreiſſen zu wollen? Jſt es
wahr, daß Pindar ſich keine Jnverſionen des
Fabelſyſtems erlaubt, und alles ſo ſtehen laͤßt,

wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0132" n="300"/>
daß wir nach den u&#x0364;berbliebenen Nachrichten<lb/>
keine Dithyramben machen <hi rendition="#fr">ko&#x0364;nnen;</hi> &#x2014;<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;tens! daß der Verfa&#x017F;&#x017F;er keine gemacht.<lb/>
Womit behauptet er es, daß jeder neue Ge-<lb/>
&#x017F;chmack verkehrt &#x017F;eyn muß, der von den Re-<lb/>
geln des wei&#x017F;en Alterthums abgeht? Warum<lb/>
i&#x017F;t ein Deut&#x017F;ches Heldengedicht, eine Ode,<lb/>
eine Dithyrambe ohne Griechi&#x017F;che und Latei-<lb/>
ni&#x017F;che Mu&#x017F;ter denn an &#x017F;ich unmo&#x0364;glich? Was<lb/>
thun die Pindari&#x017F;chen Oden des Leipziger Pro-<lb/>
fe&#x017F;&#x017F;ors hier zur Sache? Auf welcher Cla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
muß denn der Dithyrambi&#x017F;t &#x017F;izzen, wenn er den<lb/>
Pindar <hi rendition="#aq">intus et in cute</hi> kennen lernen, den gan-<lb/>
zen Poeten <hi rendition="#aq">in &#x017F;uccum et &#x017F;anguinem</hi> verti-<lb/>
ren, und ab&#x017F;olut er&#x017F;t nach 20 Jahren Jmi-<lb/>
tationen nach der Pindari&#x017F;chen Digreßion u&#x0364;ber<lb/>
den Berg Aetna machen &#x017F;oll? Welch ein<lb/>
Schulton herr&#x017F;cht &#x017F;o durchga&#x0364;ngig, &#x017F;o in&#x017F;onder-<lb/>
heit S. 59 - 61. Welche Sammlung von<lb/>
Pindari&#x017F;chen Beiwo&#x0364;rtern &#x017F;oll man (p. 70.)<lb/>
Friedrich geben? Wie lange muß noch der<lb/>
Dithyrambi&#x017F;t Mythologie lernen, um nicht<lb/>
ihr Sy&#x017F;tem niederrei&#x017F;&#x017F;en zu wollen? J&#x017F;t es<lb/>
wahr, daß Pindar &#x017F;ich keine Jnver&#x017F;ionen des<lb/>
Fabel&#x017F;y&#x017F;tems erlaubt, und alles &#x017F;o &#x017F;tehen la&#x0364;ßt,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0132] daß wir nach den uͤberbliebenen Nachrichten keine Dithyramben machen koͤnnen; — hoͤchſtens! daß der Verfaſſer keine gemacht. Womit behauptet er es, daß jeder neue Ge- ſchmack verkehrt ſeyn muß, der von den Re- geln des weiſen Alterthums abgeht? Warum iſt ein Deutſches Heldengedicht, eine Ode, eine Dithyrambe ohne Griechiſche und Latei- niſche Muſter denn an ſich unmoͤglich? Was thun die Pindariſchen Oden des Leipziger Pro- feſſors hier zur Sache? Auf welcher Claſſe muß denn der Dithyrambiſt ſizzen, wenn er den Pindar intus et in cute kennen lernen, den gan- zen Poeten in ſuccum et ſanguinem verti- ren, und abſolut erſt nach 20 Jahren Jmi- tationen nach der Pindariſchen Digreßion uͤber den Berg Aetna machen ſoll? Welch ein Schulton herrſcht ſo durchgaͤngig, ſo inſonder- heit S. 59 - 61. Welche Sammlung von Pindariſchen Beiwoͤrtern ſoll man (p. 70.) Friedrich geben? Wie lange muß noch der Dithyrambiſt Mythologie lernen, um nicht ihr Syſtem niederreiſſen zu wollen? Jſt es wahr, daß Pindar ſich keine Jnverſionen des Fabelſyſtems erlaubt, und alles ſo ſtehen laͤßt, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/132
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/132>, abgerufen am 28.04.2024.