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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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risch. Das wahre Dithurambodes war also
vorbei, und man suchte es nachzuahmen.
Daher kann Aristoteles den Dithyramben un-
ter die Nachahmende Poesie sezzen, ohne
doch dem Plato zu widersprechen, der das Ge-
gentheil, wiewohl in ganz andrer Verbindung,
sagt. Es blieb noch immer ein festliches
Vergnügen, sich in ihre Väterzeiten zurück-
zusezzen, und die Sprache, das Sylbenmaas,
die Musik, die Denkart eines oder einiger er-
lebten Zeitalter zu gebrauchen.

Jn dieser mittlern Zeit, da sich das Di-
thyrambische gemildert hatte, mag es also
die besten Gedichte dieser Art gegeben haben,
die daher die Anfangsstücke verdrängten.
Nachher aber trieben die folgenden die Kühn-
heit immer höher, um ihre Vorgänger über-
treffen zu können; sie mischten, (nach Pla-
tons
Zeugniß in seiner Republik), alles un-
ter einander: und gingen verloren, weil die
damaligen Zeitalter zu sehr den Geschmack
der Dichtkunst, den Geist der Religion, die
Stuffe der Sitten und Sprache verändert
hatten.

Da-

riſch. Das wahre Διϑυραμϐωδες war alſo
vorbei, und man ſuchte es nachzuahmen.
Daher kann Ariſtoteles den Dithyramben un-
ter die Nachahmende Poeſie ſezzen, ohne
doch dem Plato zu widerſprechen, der das Ge-
gentheil, wiewohl in ganz andrer Verbindung,
ſagt. Es blieb noch immer ein feſtliches
Vergnuͤgen, ſich in ihre Vaͤterzeiten zuruͤck-
zuſezzen, und die Sprache, das Sylbenmaas,
die Muſik, die Denkart eines oder einiger er-
lebten Zeitalter zu gebrauchen.

Jn dieſer mittlern Zeit, da ſich das Di-
thyrambiſche gemildert hatte, mag es alſo
die beſten Gedichte dieſer Art gegeben haben,
die daher die Anfangsſtuͤcke verdraͤngten.
Nachher aber trieben die folgenden die Kuͤhn-
heit immer hoͤher, um ihre Vorgaͤnger uͤber-
treffen zu koͤnnen; ſie miſchten, (nach Pla-
tons
Zeugniß in ſeiner Republik), alles un-
ter einander: und gingen verloren, weil die
damaligen Zeitalter zu ſehr den Geſchmack
der Dichtkunſt, den Geiſt der Religion, die
Stuffe der Sitten und Sprache veraͤndert
hatten.

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[310/0142] riſch. Das wahre Διϑυραμϐωδες war alſo vorbei, und man ſuchte es nachzuahmen. Daher kann Ariſtoteles den Dithyramben un- ter die Nachahmende Poeſie ſezzen, ohne doch dem Plato zu widerſprechen, der das Ge- gentheil, wiewohl in ganz andrer Verbindung, ſagt. Es blieb noch immer ein feſtliches Vergnuͤgen, ſich in ihre Vaͤterzeiten zuruͤck- zuſezzen, und die Sprache, das Sylbenmaas, die Muſik, die Denkart eines oder einiger er- lebten Zeitalter zu gebrauchen. Jn dieſer mittlern Zeit, da ſich das Di- thyrambiſche gemildert hatte, mag es alſo die beſten Gedichte dieſer Art gegeben haben, die daher die Anfangsſtuͤcke verdraͤngten. Nachher aber trieben die folgenden die Kuͤhn- heit immer hoͤher, um ihre Vorgaͤnger uͤber- treffen zu koͤnnen; ſie miſchten, (nach Pla- tons Zeugniß in ſeiner Republik), alles un- ter einander: und gingen verloren, weil die damaligen Zeitalter zu ſehr den Geſchmack der Dichtkunſt, den Geiſt der Religion, die Stuffe der Sitten und Sprache veraͤndert hatten. Da-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/142>, abgerufen am 28.04.2024.