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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Jn keiner hohen Ebräischen Ode findet man
den abgemeßnen Schwung, der eine Griechi-
sche, und noch mehr eine Römische charakte-
risirt: in keiner die ausgemalten Pindarischen
Bilder, die hier immer Stückweise erscheinen,
abbrechen und wieder kommen: in keiner Ele-
gie, die dämmernde Stimme, die durch ihren
sterbenden Fall, und anhaltendes Wimmern,
allmählich rührt: -- überall mehr der wie-
derholte Schlag, der eine Saite des Herzens
nach der andern plozlich trift, und eilt, um
eine andre zu treffen. -- Man hat diesen
innern Charakter aus ihrer Hizze der Einbil-
dungskraft herleiten wollen; allein ein Hu-
rone in einer unperiodischen Sprache muß so,
wie sie, singen.

Wir aber, in einer Periodischen Sprache.
Wir müssen also jene zerstückte Bilder, die
sich wiederholen, zu einem Ganzen ordnen,
und sie in einem gebildeten Poetischen Perio-
den mehr in der Perspektiv eines Gleichnisses
zeichnen; der uns eigne Poetische Ton malt
überdem sonst mehr Begriffe als Bilder, und
unsre selbst Dichterische Gleichnisse zeigen sich,
nach jenen zu rechnen, mehr in dem Licht ei-

nes

Jn keiner hohen Ebraͤiſchen Ode findet man
den abgemeßnen Schwung, der eine Griechi-
ſche, und noch mehr eine Roͤmiſche charakte-
riſirt: in keiner die ausgemalten Pindariſchen
Bilder, die hier immer Stuͤckweiſe erſcheinen,
abbrechen und wieder kommen: in keiner Ele-
gie, die daͤmmernde Stimme, die durch ihren
ſterbenden Fall, und anhaltendes Wimmern,
allmaͤhlich ruͤhrt: — uͤberall mehr der wie-
derholte Schlag, der eine Saite des Herzens
nach der andern plo̊zlich trift, und eilt, um
eine andre zu treffen. — Man hat dieſen
innern Charakter aus ihrer Hizze der Einbil-
dungskraft herleiten wollen; allein ein Hu-
rone in einer unperiodiſchen Sprache muß ſo,
wie ſie, ſingen.

Wir aber, in einer Periodiſchen Sprache.
Wir muͤſſen alſo jene zerſtuͤckte Bilder, die
ſich wiederholen, zu einem Ganzen ordnen,
und ſie in einem gebildeten Poetiſchen Perio-
den mehr in der Perſpektiv eines Gleichniſſes
zeichnen; der uns eigne Poetiſche Ton malt
uͤberdem ſonſt mehr Begriffe als Bilder, und
unſre ſelbſt Dichteriſche Gleichniſſe zeigen ſich,
nach jenen zu rechnen, mehr in dem Licht ei-

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[232/0064] Jn keiner hohen Ebraͤiſchen Ode findet man den abgemeßnen Schwung, der eine Griechi- ſche, und noch mehr eine Roͤmiſche charakte- riſirt: in keiner die ausgemalten Pindariſchen Bilder, die hier immer Stuͤckweiſe erſcheinen, abbrechen und wieder kommen: in keiner Ele- gie, die daͤmmernde Stimme, die durch ihren ſterbenden Fall, und anhaltendes Wimmern, allmaͤhlich ruͤhrt: — uͤberall mehr der wie- derholte Schlag, der eine Saite des Herzens nach der andern plo̊zlich trift, und eilt, um eine andre zu treffen. — Man hat dieſen innern Charakter aus ihrer Hizze der Einbil- dungskraft herleiten wollen; allein ein Hu- rone in einer unperiodiſchen Sprache muß ſo, wie ſie, ſingen. Wir aber, in einer Periodiſchen Sprache. Wir muͤſſen alſo jene zerſtuͤckte Bilder, die ſich wiederholen, zu einem Ganzen ordnen, und ſie in einem gebildeten Poetiſchen Perio- den mehr in der Perſpektiv eines Gleichniſſes zeichnen; der uns eigne Poetiſche Ton malt uͤberdem ſonſt mehr Begriffe als Bilder, und unſre ſelbſt Dichteriſche Gleichniſſe zeigen ſich, nach jenen zu rechnen, mehr in dem Licht ei- nes

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/64>, abgerufen am 29.04.2024.