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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Rabbi. Nicht völlig dazu! wenn wir sie
zum Maasstabe des Meßias annehmen müß-
ten, so hätten wir die Richtigkeit dieses Maas-
stabes vorher selbst zu prüfen. Klopstock
sagt so hier, als in allen seinen Prosaischen
Discoursen viel; aber immer bleiben auch
Unterscheidungen, Bestimmungen, Zusäzze
für den Leser übrig.

Christ. Gut! so wollen wir die Prüfung
frei vornehmen: begegnen wir uns mit dem
Verfasser manchmal: um so viel besser! ha-
ben wir etwas gegen ihn, den Kritiker: so
wollen wirs auch nicht verschweigen.



Rabbi. Nun dann! Kommt Jhnen ein
Meßias, wie der seinige, wohl als ein recht-
behandeltes Sujet zur Tragischen Epopee vor?
Mir nicht! Die Wuth seiner Feinde wäre
ein Unding, wenn er in dem Glanze völlig
gewandelt hätte, in dem ihn K. erblicket.
Hätte er ihn nicht in Umstände sezzen sollen,
wo man sein Verhalten gegen die Feinde selbst
sähe? aus dem sie, seiner Unschuld unbe-
schadet, einigen Schein zur Wuth gegen ihn,

um
R

Rabbi. Nicht voͤllig dazu! wenn wir ſie
zum Maasſtabe des Meßias annehmen muͤß-
ten, ſo haͤtten wir die Richtigkeit dieſes Maas-
ſtabes vorher ſelbſt zu pruͤfen. Klopſtock
ſagt ſo hier, als in allen ſeinen Proſaiſchen
Diſcourſen viel; aber immer bleiben auch
Unterſcheidungen, Beſtimmungen, Zuſaͤzze
fuͤr den Leſer uͤbrig.

Chriſt. Gut! ſo wollen wir die Pruͤfung
frei vornehmen: begegnen wir uns mit dem
Verfaſſer manchmal: um ſo viel beſſer! ha-
ben wir etwas gegen ihn, den Kritiker: ſo
wollen wirs auch nicht verſchweigen.



Rabbi. Nun dann! Kommt Jhnen ein
Meßias, wie der ſeinige, wohl als ein recht-
behandeltes Sujet zur Tragiſchen Epopee vor?
Mir nicht! Die Wuth ſeiner Feinde waͤre
ein Unding, wenn er in dem Glanze voͤllig
gewandelt haͤtte, in dem ihn K. erblicket.
Haͤtte er ihn nicht in Umſtaͤnde ſezzen ſollen,
wo man ſein Verhalten gegen die Feinde ſelbſt
ſaͤhe? aus dem ſie, ſeiner Unſchuld unbe-
ſchadet, einigen Schein zur Wuth gegen ihn,

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[245/0077] Rabbi. Nicht voͤllig dazu! wenn wir ſie zum Maasſtabe des Meßias annehmen muͤß- ten, ſo haͤtten wir die Richtigkeit dieſes Maas- ſtabes vorher ſelbſt zu pruͤfen. Klopſtock ſagt ſo hier, als in allen ſeinen Proſaiſchen Diſcourſen viel; aber immer bleiben auch Unterſcheidungen, Beſtimmungen, Zuſaͤzze fuͤr den Leſer uͤbrig. Chriſt. Gut! ſo wollen wir die Pruͤfung frei vornehmen: begegnen wir uns mit dem Verfaſſer manchmal: um ſo viel beſſer! ha- ben wir etwas gegen ihn, den Kritiker: ſo wollen wirs auch nicht verſchweigen. Rabbi. Nun dann! Kommt Jhnen ein Meßias, wie der ſeinige, wohl als ein recht- behandeltes Sujet zur Tragiſchen Epopee vor? Mir nicht! Die Wuth ſeiner Feinde waͤre ein Unding, wenn er in dem Glanze voͤllig gewandelt haͤtte, in dem ihn K. erblicket. Haͤtte er ihn nicht in Umſtaͤnde ſezzen ſollen, wo man ſein Verhalten gegen die Feinde ſelbſt ſaͤhe? aus dem ſie, ſeiner Unſchuld unbe- ſchadet, einigen Schein zur Wuth gegen ihn, um R

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/77>, abgerufen am 29.04.2024.