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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Gedicht nicht in seiner ganzen Größe ken-
nen lernen.

Christ. Vielleicht haben Sie noch zu viel
Geschmack an dem Parenthyrsus in Bildern,
den man Jhrer Nation vorwirft; vielleicht ist
die Hoheit Jesu mehr eine stille Größe!
Nur freilich dörfte sich diese mehr im Antlitz,
in Minen und Gesprächen, als in den mensch-
lichen charakteristischen Handlungen zeigen,
die eben nicht Wunder seyn dörfen.

Rabbi. Sind nicht seine Engel grösten-
theils das im Gedichte, was sie in den Ku-
pfern sind: weibische, zarte, liebe Knaben,
die schweben, und umherflattern, ohne recht
in den Kerninhalt des Stücks eingeflochten
zu seyn: Maschinen, die ihr Poetischer Schö-
pfer nicht zu brauchen weiß. Wenig von dem
Hohen, was ein E[n]gel hat, wenn er nach
dem A. T. auch nur der Fürst eines
Elements, der Regent eines Landes,

und der Statthalter Gottes in einem
wichtigen Auftrage
ist.

Christ. Freilich macht K. zwar einen Un-
terscheid, "zwischen einem Gedicht, das aus
"gewissen Geschichten des ersten Bundes ge-

"nom-
R 4

Gedicht nicht in ſeiner ganzen Groͤße ken-
nen lernen.

Chriſt. Vielleicht haben Sie noch zu viel
Geſchmack an dem Parenthyrſus in Bildern,
den man Jhrer Nation vorwirft; vielleicht iſt
die Hoheit Jeſu mehr eine ſtille Groͤße!
Nur freilich doͤrfte ſich dieſe mehr im Antlitz,
in Minen und Geſpraͤchen, als in den menſch-
lichen charakteriſtiſchen Handlungen zeigen,
die eben nicht Wunder ſeyn doͤrfen.

Rabbi. Sind nicht ſeine Engel groͤſten-
theils das im Gedichte, was ſie in den Ku-
pfern ſind: weibiſche, zarte, liebe Knaben,
die ſchweben, und umherflattern, ohne recht
in den Kerninhalt des Stuͤcks eingeflochten
zu ſeyn: Maſchinen, die ihr Poetiſcher Schoͤ-
pfer nicht zu brauchen weiß. Wenig von dem
Hohen, was ein E[n]gel hat, wenn er nach
dem A. T. auch nur der Fuͤrſt eines
Elements, der Regent eines Landes,

und der Statthalter Gottes in einem
wichtigen Auftrage
iſt.

Chriſt. Freilich macht K. zwar einen Un-
terſcheid, „zwiſchen einem Gedicht, das aus
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[251/0083] Gedicht nicht in ſeiner ganzen Groͤße ken- nen lernen. Chriſt. Vielleicht haben Sie noch zu viel Geſchmack an dem Parenthyrſus in Bildern, den man Jhrer Nation vorwirft; vielleicht iſt die Hoheit Jeſu mehr eine ſtille Groͤße! Nur freilich doͤrfte ſich dieſe mehr im Antlitz, in Minen und Geſpraͤchen, als in den menſch- lichen charakteriſtiſchen Handlungen zeigen, die eben nicht Wunder ſeyn doͤrfen. Rabbi. Sind nicht ſeine Engel groͤſten- theils das im Gedichte, was ſie in den Ku- pfern ſind: weibiſche, zarte, liebe Knaben, die ſchweben, und umherflattern, ohne recht in den Kerninhalt des Stuͤcks eingeflochten zu ſeyn: Maſchinen, die ihr Poetiſcher Schoͤ- pfer nicht zu brauchen weiß. Wenig von dem Hohen, was ein Engel hat, wenn er nach dem A. T. auch nur der Fuͤrſt eines Elements, der Regent eines Landes, und der Statthalter Gottes in einem wichtigen Auftrage iſt. Chriſt. Freilich macht K. zwar einen Un- terſcheid, „zwiſchen einem Gedicht, das aus „gewiſſen Geſchichten des erſten Bundes ge- „nom- R 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/83>, abgerufen am 29.04.2024.