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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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Virgil die Gründung des Römischen Volks
und Kaiserthrones behalten konnte: dadurch
eben bekam es bei einem Römer, bei einem
August und Oktavia Jnteresse.

Rabbi. Und denn hätte K. seine Apostel
nicht sowohl nath seinem weichen Herzen, als
liebe gute Jünglinge malen sollen: sondern
ihnen mehr mit großen Fehlern auch das
Große göttlicher Propheten geben --

Christ. Oder sie wenigstens als Schwa-
che
malen sollen, die einst zu Säulen der
Kirche
bestimmt sind, und bei denen er we-
nigstens die Anlage zu ihrer künftigen Größe
im Vorgrunde zeichnen sollte.

Rabbi. Aber überhaupt! ist in seiner
Evopee zu viel Gerüst und zu wenig Ge-
bäude;
zu viel Rede und zu wenig Hand-
lung.
Wie vieles davon kann man weg-
nehmen, ohne Schaden, ja vielleicht zur
Schönheit des Ganzen. Euer Jesus wird
entweder über der Menschheit geschildert,
oder mit dem vollen weichen Herzen, das
da spricht, und duldet, aber zu wenig han-
delt.
Wer ihn nicht zum Voraus aus den
Evangelisten kennet: wird ihn aus diesem

Gedicht

Virgil die Gruͤndung des Roͤmiſchen Volks
und Kaiſerthrones behalten konnte: dadurch
eben bekam es bei einem Roͤmer, bei einem
Auguſt und Oktavia Jntereſſe.

Rabbi. Und denn haͤtte K. ſeine Apoſtel
nicht ſowohl nath ſeinem weichen Herzen, als
liebe gute Juͤnglinge malen ſollen: ſondern
ihnen mehr mit großen Fehlern auch das
Große goͤttlicher Propheten geben —

Chriſt. Oder ſie wenigſtens als Schwa-
che
malen ſollen, die einſt zu Saͤulen der
Kirche
beſtimmt ſind, und bei denen er we-
nigſtens die Anlage zu ihrer kuͤnftigen Groͤße
im Vorgrunde zeichnen ſollte.

Rabbi. Aber uͤberhaupt! iſt in ſeiner
Evopee zu viel Geruͤſt und zu wenig Ge-
baͤude;
zu viel Rede und zu wenig Hand-
lung.
Wie vieles davon kann man weg-
nehmen, ohne Schaden, ja vielleicht zur
Schoͤnheit des Ganzen. Euer Jeſus wird
entweder uͤber der Menſchheit geſchildert,
oder mit dem vollen weichen Herzen, das
da ſpricht, und duldet, aber zu wenig han-
delt.
Wer ihn nicht zum Voraus aus den
Evangeliſten kennet: wird ihn aus dieſem

Gedicht
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[250/0082] Virgil die Gruͤndung des Roͤmiſchen Volks und Kaiſerthrones behalten konnte: dadurch eben bekam es bei einem Roͤmer, bei einem Auguſt und Oktavia Jntereſſe. Rabbi. Und denn haͤtte K. ſeine Apoſtel nicht ſowohl nath ſeinem weichen Herzen, als liebe gute Juͤnglinge malen ſollen: ſondern ihnen mehr mit großen Fehlern auch das Große goͤttlicher Propheten geben — Chriſt. Oder ſie wenigſtens als Schwa- che malen ſollen, die einſt zu Saͤulen der Kirche beſtimmt ſind, und bei denen er we- nigſtens die Anlage zu ihrer kuͤnftigen Groͤße im Vorgrunde zeichnen ſollte. Rabbi. Aber uͤberhaupt! iſt in ſeiner Evopee zu viel Geruͤſt und zu wenig Ge- baͤude; zu viel Rede und zu wenig Hand- lung. Wie vieles davon kann man weg- nehmen, ohne Schaden, ja vielleicht zur Schoͤnheit des Ganzen. Euer Jeſus wird entweder uͤber der Menſchheit geſchildert, oder mit dem vollen weichen Herzen, das da ſpricht, und duldet, aber zu wenig han- delt. Wer ihn nicht zum Voraus aus den Evangeliſten kennet: wird ihn aus dieſem Gedicht

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/82>, abgerufen am 29.04.2024.