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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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über Tod und Unglück wäre (wie ihn doch
das A. T. und selbst die Meinungen des da-
maligen Zeitpunkts darstellen), den nachher
Jesus überwände.

Christ. Hier hätte kein Milton vor K.
seyn sollen; so wäre die ganze Hölle nach
andrer Bauart angerichtet; nicht im Anfan-
ge so prächtig eröfnet, um immer Episode
zu bleiben; nicht so viel Himmel und Ge-
sandschaften. K. zeigt gegen den Britten
was ein Philosoph mit Grunde behauptet:
"Wenn ein Engländer und Deutscher das
"Erhabne schildert; wird jener es furchtbar
"und schreckhaft zeichnen; dieser aber auf die
"Pracht verfallen."

Rabbi. Ueberhaupt hätte Klopstock sich
mehr nach Nationalmeinungen, dem
Poetischen Sinn des A. T. und dem Ge-
schmack der damaligen Zeit Mühe geben sol-
len. Befriedigen hat er eure Orthodoxie
doch nicht können, und warum hat er sich
denn nicht einige Schritte weiter von ihr ent-
fernen wollen, der Poesie wegen. Sagen
Sie mir es, Christ! mit einem Worte: "wozu
"leidet K. Meßias?" mit einem Worte?

Sie

uͤber Tod und Ungluͤck waͤre (wie ihn doch
das A. T. und ſelbſt die Meinungen des da-
maligen Zeitpunkts darſtellen), den nachher
Jeſus uͤberwaͤnde.

Chriſt. Hier haͤtte kein Milton vor K.
ſeyn ſollen; ſo waͤre die ganze Hoͤlle nach
andrer Bauart angerichtet; nicht im Anfan-
ge ſo praͤchtig eroͤfnet, um immer Epiſode
zu bleiben; nicht ſo viel Himmel und Ge-
ſandſchaften. K. zeigt gegen den Britten
was ein Philoſoph mit Grunde behauptet:
„Wenn ein Englaͤnder und Deutſcher das
„Erhabne ſchildert; wird jener es furchtbar
„und ſchreckhaft zeichnen; dieſer aber auf die
Pracht verfallen.„

Rabbi. Ueberhaupt haͤtte Klopſtock ſich
mehr nach Nationalmeinungen, dem
Poetiſchen Sinn des A. T. und dem Ge-
ſchmack der damaligen Zeit Muͤhe geben ſol-
len. Befriedigen hat er eure Orthodoxie
doch nicht koͤnnen, und warum hat er ſich
denn nicht einige Schritte weiter von ihr ent-
fernen wollen, der Poeſie wegen. Sagen
Sie mir es, Chriſt! mit einem Worte: „wozu
„leidet K. Meßias?„ mit einem Worte?

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[254/0086] uͤber Tod und Ungluͤck waͤre (wie ihn doch das A. T. und ſelbſt die Meinungen des da- maligen Zeitpunkts darſtellen), den nachher Jeſus uͤberwaͤnde. Chriſt. Hier haͤtte kein Milton vor K. ſeyn ſollen; ſo waͤre die ganze Hoͤlle nach andrer Bauart angerichtet; nicht im Anfan- ge ſo praͤchtig eroͤfnet, um immer Epiſode zu bleiben; nicht ſo viel Himmel und Ge- ſandſchaften. K. zeigt gegen den Britten was ein Philoſoph mit Grunde behauptet: „Wenn ein Englaͤnder und Deutſcher das „Erhabne ſchildert; wird jener es furchtbar „und ſchreckhaft zeichnen; dieſer aber auf die „Pracht verfallen.„ Rabbi. Ueberhaupt haͤtte Klopſtock ſich mehr nach Nationalmeinungen, dem Poetiſchen Sinn des A. T. und dem Ge- ſchmack der damaligen Zeit Muͤhe geben ſol- len. Befriedigen hat er eure Orthodoxie doch nicht koͤnnen, und warum hat er ſich denn nicht einige Schritte weiter von ihr ent- fernen wollen, der Poeſie wegen. Sagen Sie mir es, Chriſt! mit einem Worte: „wozu „leidet K. Meßias?„ mit einem Worte? Sie

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/86>, abgerufen am 29.04.2024.