Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

an sich nehmen, und wo seine bäurische Ho-
heit noch hervorblickt, da verlacht man ihn,
als einen Barbaren. -- Wir armen Deut-
schen
hingegen, noch ohne Publikum beinahe
und ohne Vaterland, noch ohne Tyrannen
eines Nationalgeschmacks, wollen ihn sehen,
wie er ist.

Und die beste Uebersezzung kann dies bei
Homer nicht erreichen, wenn nicht Anmer-
kungen und Erläuterungen in hohem Kritischen
Geist dazu kommen. Wir wollen gern mit
dem Uebersezzer diese Reise thun, wenn er
uns nach Griechenland mitnähme, und die
Schäzze zeigte, die er selbst gefunden. Als
Leute, die dieses Reisens nicht sehr gewohnt,
zum Theil dran vereckelt sind, mache er uns
aufmerksam, führe uns als Kundschafter um-
her, die sich nicht um Schulgeschichten und
Wortklaubereien, sondern um das ganze große
Staatsgeheimniß der Griechischen Litteratur
bemühen. Man weiß, was Französische An-
merkungen des Geschmacks über die Alten
sind: meistens Zergliederungen einzelner, und
oft unwesentlicher Schönheiten, die ihrem
Publikum zur Zerstreuung, Erholung und Er-

göz-
S 4

an ſich nehmen, und wo ſeine baͤuriſche Ho-
heit noch hervorblickt, da verlacht man ihn,
als einen Barbaren. — Wir armen Deut-
ſchen
hingegen, noch ohne Publikum beinahe
und ohne Vaterland, noch ohne Tyrannen
eines Nationalgeſchmacks, wollen ihn ſehen,
wie er iſt.

Und die beſte Ueberſezzung kann dies bei
Homer nicht erreichen, wenn nicht Anmer-
kungen und Erlaͤuterungen in hohem Kritiſchen
Geiſt dazu kommen. Wir wollen gern mit
dem Ueberſezzer dieſe Reiſe thun, wenn er
uns nach Griechenland mitnaͤhme, und die
Schaͤzze zeigte, die er ſelbſt gefunden. Als
Leute, die dieſes Reiſens nicht ſehr gewohnt,
zum Theil dran vereckelt ſind, mache er uns
aufmerkſam, fuͤhre uns als Kundſchafter um-
her, die ſich nicht um Schulgeſchichten und
Wortklaubereien, ſondern um das ganze große
Staatsgeheimniß der Griechiſchen Litteratur
bemuͤhen. Man weiß, was Franzoͤſiſche An-
merkungen des Geſchmacks uͤber die Alten
ſind: meiſtens Zergliederungen einzelner, und
oft unweſentlicher Schoͤnheiten, die ihrem
Publikum zur Zerſtreuung, Erholung und Er-

goͤz-
S 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0099" n="267"/>
an &#x017F;ich nehmen, und wo &#x017F;eine ba&#x0364;uri&#x017F;che Ho-<lb/>
heit noch hervorblickt, da verlacht man ihn,<lb/>
als einen Barbaren. &#x2014; Wir armen <hi rendition="#fr">Deut-<lb/>
&#x017F;chen</hi> hingegen, noch ohne Publikum beinahe<lb/>
und ohne Vaterland, noch ohne Tyrannen<lb/>
eines Nationalge&#x017F;chmacks, wollen ihn &#x017F;ehen,<lb/>
wie er i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Und die be&#x017F;te Ueber&#x017F;ezzung kann dies bei<lb/><hi rendition="#fr">Homer</hi> nicht erreichen, wenn nicht Anmer-<lb/>
kungen und Erla&#x0364;uterungen in hohem Kriti&#x017F;chen<lb/>
Gei&#x017F;t dazu kommen. Wir wollen gern mit<lb/>
dem Ueber&#x017F;ezzer die&#x017F;e Rei&#x017F;e thun, wenn er<lb/>
uns nach Griechenland mitna&#x0364;hme, und die<lb/>
Scha&#x0364;zze zeigte, die er &#x017F;elb&#x017F;t gefunden. Als<lb/>
Leute, die die&#x017F;es Rei&#x017F;ens nicht &#x017F;ehr gewohnt,<lb/>
zum Theil dran vereckelt &#x017F;ind, mache er uns<lb/>
aufmerk&#x017F;am, fu&#x0364;hre uns als Kund&#x017F;chafter um-<lb/>
her, die &#x017F;ich nicht um Schulge&#x017F;chichten und<lb/>
Wortklaubereien, &#x017F;ondern um das ganze große<lb/>
Staatsgeheimniß der Griechi&#x017F;chen Litteratur<lb/>
bemu&#x0364;hen. Man weiß, was Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che An-<lb/>
merkungen des Ge&#x017F;chmacks u&#x0364;ber die Alten<lb/>
&#x017F;ind: mei&#x017F;tens Zergliederungen einzelner, und<lb/>
oft unwe&#x017F;entlicher Scho&#x0364;nheiten, die ihrem<lb/>
Publikum zur Zer&#x017F;treuung, Erholung und Er-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 4</fw><fw place="bottom" type="catch">go&#x0364;z-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[267/0099] an ſich nehmen, und wo ſeine baͤuriſche Ho- heit noch hervorblickt, da verlacht man ihn, als einen Barbaren. — Wir armen Deut- ſchen hingegen, noch ohne Publikum beinahe und ohne Vaterland, noch ohne Tyrannen eines Nationalgeſchmacks, wollen ihn ſehen, wie er iſt. Und die beſte Ueberſezzung kann dies bei Homer nicht erreichen, wenn nicht Anmer- kungen und Erlaͤuterungen in hohem Kritiſchen Geiſt dazu kommen. Wir wollen gern mit dem Ueberſezzer dieſe Reiſe thun, wenn er uns nach Griechenland mitnaͤhme, und die Schaͤzze zeigte, die er ſelbſt gefunden. Als Leute, die dieſes Reiſens nicht ſehr gewohnt, zum Theil dran vereckelt ſind, mache er uns aufmerkſam, fuͤhre uns als Kundſchafter um- her, die ſich nicht um Schulgeſchichten und Wortklaubereien, ſondern um das ganze große Staatsgeheimniß der Griechiſchen Litteratur bemuͤhen. Man weiß, was Franzoͤſiſche An- merkungen des Geſchmacks uͤber die Alten ſind: meiſtens Zergliederungen einzelner, und oft unweſentlicher Schoͤnheiten, die ihrem Publikum zur Zerſtreuung, Erholung und Er- goͤz- S 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/99
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/99>, abgerufen am 29.04.2024.