dessen, der anfänglich bemüht gewesen diese Gewohnheit völlig abzuschaffen; hatte sie doch am Ende nachlassen müssen. Sie ward aber von ihm bis auf einen Vers einge- schränkt, den meine Mutter nicht um die Herzogthümer Curland und Semgallen ge- lassen hätte.
Ich hab es oft erfahren daß mein Vater zuweilen den zweiten Diskant extemporirte und meiner Mutter zum Munde sang, so daß er mithin von seiner vorigen Meinung a po- steriori abgegangen war. Meine Mutter rechnete ihm diese Bekehrung im Conto sehr hoch an und je lauter er mitgesungen hatte, jemehr wurde ihm zu gut geschrieben. Sie wußte sogar den Zeitpunkt anzugeben wenn mein Vater der wie die Folge zeigen wird, keine Anlage zum Geistlichen besaß, aufge- höret hätte ein Liederstürmer zu seyn und die- sen Zeitpunkt werden wir übermorgen (ich rechne nach mir und bitte meine Leser desfals um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter wußte den Rückfall meines Vaters, den sie des zweiten Diskants unerachtet, noch im- mer befürchtete, so sehr zu verhindern, daß sie seine Lieblingslieder den ihrigen vorzog: obgleich sie es auch mit ihren Lieblingen nicht
ver-
C
deſſen, der anfaͤnglich bemuͤht geweſen dieſe Gewohnheit voͤllig abzuſchaffen; hatte ſie doch am Ende nachlaſſen muͤſſen. Sie ward aber von ihm bis auf einen Vers einge- ſchraͤnkt, den meine Mutter nicht um die Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge- laſſen haͤtte.
Ich hab es oft erfahren daß mein Vater zuweilen den zweiten Diskant extemporirte und meiner Mutter zum Munde ſang, ſo daß er mithin von ſeiner vorigen Meinung a po- ſteriori abgegangen war. Meine Mutter rechnete ihm dieſe Bekehrung im Conto ſehr hoch an und je lauter er mitgeſungen hatte, jemehr wurde ihm zu gut geſchrieben. Sie wußte ſogar den Zeitpunkt anzugeben wenn mein Vater der wie die Folge zeigen wird, keine Anlage zum Geiſtlichen beſaß, aufge- hoͤret haͤtte ein Liederſtuͤrmer zu ſeyn und die- ſen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich rechne nach mir und bitte meine Leſer desfals um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den ſie des zweiten Diskants unerachtet, noch im- mer befuͤrchtete, ſo ſehr zu verhindern, daß ſie ſeine Lieblingslieder den ihrigen vorzog: obgleich ſie es auch mit ihren Lieblingen nicht
ver-
C
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0039"n="31"/>
deſſen, der anfaͤnglich bemuͤht geweſen dieſe<lb/>
Gewohnheit voͤllig abzuſchaffen; hatte ſie<lb/>
doch am Ende nachlaſſen muͤſſen. Sie ward<lb/>
aber von ihm bis auf einen Vers einge-<lb/>ſchraͤnkt, den meine Mutter nicht um die<lb/>
Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge-<lb/>
laſſen haͤtte.</p><lb/><p>Ich hab es oft erfahren daß mein Vater<lb/>
zuweilen den zweiten Diskant extemporirte<lb/>
und meiner Mutter zum Munde ſang, ſo daß<lb/>
er mithin von ſeiner vorigen Meinung <hirendition="#aq">a po-<lb/>ſteriori</hi> abgegangen war. Meine Mutter<lb/>
rechnete ihm dieſe Bekehrung im Conto ſehr<lb/>
hoch an und je lauter er mitgeſungen hatte,<lb/>
jemehr wurde ihm zu gut geſchrieben. Sie<lb/>
wußte ſogar den Zeitpunkt anzugeben wenn<lb/>
mein Vater der wie die Folge zeigen wird,<lb/>
keine Anlage zum Geiſtlichen beſaß, aufge-<lb/>
hoͤret haͤtte ein Liederſtuͤrmer zu ſeyn und die-<lb/>ſen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich<lb/>
rechne nach mir und bitte meine Leſer desfals<lb/>
um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter<lb/>
wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den ſie<lb/>
des zweiten Diskants unerachtet, noch im-<lb/>
mer befuͤrchtete, ſo ſehr zu verhindern, daß<lb/>ſie ſeine Lieblingslieder den ihrigen vorzog:<lb/>
obgleich ſie es auch mit ihren Lieblingen nicht<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C</fw><fwplace="bottom"type="catch">ver-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[31/0039]
deſſen, der anfaͤnglich bemuͤht geweſen dieſe
Gewohnheit voͤllig abzuſchaffen; hatte ſie
doch am Ende nachlaſſen muͤſſen. Sie ward
aber von ihm bis auf einen Vers einge-
ſchraͤnkt, den meine Mutter nicht um die
Herzogthuͤmer Curland und Semgallen ge-
laſſen haͤtte.
Ich hab es oft erfahren daß mein Vater
zuweilen den zweiten Diskant extemporirte
und meiner Mutter zum Munde ſang, ſo daß
er mithin von ſeiner vorigen Meinung a po-
ſteriori abgegangen war. Meine Mutter
rechnete ihm dieſe Bekehrung im Conto ſehr
hoch an und je lauter er mitgeſungen hatte,
jemehr wurde ihm zu gut geſchrieben. Sie
wußte ſogar den Zeitpunkt anzugeben wenn
mein Vater der wie die Folge zeigen wird,
keine Anlage zum Geiſtlichen beſaß, aufge-
hoͤret haͤtte ein Liederſtuͤrmer zu ſeyn und die-
ſen Zeitpunkt werden wir uͤbermorgen (ich
rechne nach mir und bitte meine Leſer desfals
um Verzeihung) erreichen. Meine Mutter
wußte den Ruͤckfall meines Vaters, den ſie
des zweiten Diskants unerachtet, noch im-
mer befuͤrchtete, ſo ſehr zu verhindern, daß
ſie ſeine Lieblingslieder den ihrigen vorzog:
obgleich ſie es auch mit ihren Lieblingen nicht
ver-
C
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/39>, abgerufen am 28.04.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.