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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Ich kann es nicht schicklicher anbringen,
daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei-
erlich war. Es ward im Pastorat mit nichts
anders als mit Weyhrauch geräuchert: alles
was meine Mutter vornahm ward besungen.
Dieses ist der cegentliche Ausdruck. Die
Natur hatte sie mit einer sehr melodischen
Stimme ausgestattet. Das Bewustseyn die-
ser Mitgabe der Natur war indessen nicht
die Ursache ihres treufleißigen Gesangs.
Meine Mutter wird die Ursache hievon gele-
gentlich selbst angeben. Sie fing so bald
ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers
eines geistlichen Liedes in bekannter Melodie
aus freier Faust (um ihren einhornschen
Ausdruck nicht zu verfälschen) zu singen an,
den alles, was zu ihrem Departement gehör-
te mit anzustimmen verbunden war. Sie
sang mit Kind und Rind. Es war dahero
natürlich daß jedes so bey ihr in Diensten
war Probe singen mußte, weil außer dem
Hausdienst auch eine Art von Küsterstelle
durch jedes Hausmädchen vergeben wurde.
Vor diesem hatte meine Mutter, nach ihrer
selbst eigenen Relation die Gewohnheit ge-
habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem
ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in-

des-

Ich kann es nicht ſchicklicher anbringen,
daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei-
erlich war. Es ward im Paſtorat mit nichts
anders als mit Weyhrauch geraͤuchert: alles
was meine Mutter vornahm ward beſungen.
Dieſes iſt der cegentliche Ausdruck. Die
Natur hatte ſie mit einer ſehr melodiſchen
Stimme ausgeſtattet. Das Bewuſtſeyn die-
ſer Mitgabe der Natur war indeſſen nicht
die Urſache ihres treufleißigen Geſangs.
Meine Mutter wird die Urſache hievon gele-
gentlich ſelbſt angeben. Sie fing ſo bald
ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers
eines geiſtlichen Liedes in bekannter Melodie
aus freier Fauſt (um ihren einhornſchen
Ausdruck nicht zu verfaͤlſchen) zu ſingen an,
den alles, was zu ihrem Departement gehoͤr-
te mit anzuſtimmen verbunden war. Sie
ſang mit Kind und Rind. Es war dahero
natuͤrlich daß jedes ſo bey ihr in Dienſten
war Probe ſingen mußte, weil außer dem
Hausdienſt auch eine Art von Kuͤſterſtelle
durch jedes Hausmaͤdchen vergeben wurde.
Vor dieſem hatte meine Mutter, nach ihrer
ſelbſt eigenen Relation die Gewohnheit ge-
habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem
ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in-

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[30/0038] Ich kann es nicht ſchicklicher anbringen, daß meine Mutter bey aller Gelegenheit fei- erlich war. Es ward im Paſtorat mit nichts anders als mit Weyhrauch geraͤuchert: alles was meine Mutter vornahm ward beſungen. Dieſes iſt der cegentliche Ausdruck. Die Natur hatte ſie mit einer ſehr melodiſchen Stimme ausgeſtattet. Das Bewuſtſeyn die- ſer Mitgabe der Natur war indeſſen nicht die Urſache ihres treufleißigen Geſangs. Meine Mutter wird die Urſache hievon gele- gentlich ſelbſt angeben. Sie fing ſo bald ihr Etwas zu Herzen ging, einen Vers eines geiſtlichen Liedes in bekannter Melodie aus freier Fauſt (um ihren einhornſchen Ausdruck nicht zu verfaͤlſchen) zu ſingen an, den alles, was zu ihrem Departement gehoͤr- te mit anzuſtimmen verbunden war. Sie ſang mit Kind und Rind. Es war dahero natuͤrlich daß jedes ſo bey ihr in Dienſten war Probe ſingen mußte, weil außer dem Hausdienſt auch eine Art von Kuͤſterſtelle durch jedes Hausmaͤdchen vergeben wurde. Vor dieſem hatte meine Mutter, nach ihrer ſelbſt eigenen Relation die Gewohnheit ge- habt einen jeden herzlichen Vorfall mit einem ganzen Liede zu bezeichnen; mein Vater in- deſ-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/38>, abgerufen am 27.04.2024.