Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Also auch für eine alte Familie: Ein
neuer Edelmann, setzte sie, um es noch ein-
drücklicher zu machen, hinzu, ist ein Baum,
der noch nicht die Blattern gehabt, der noch
nicht oculirt ist. -- Weiter lies sie ihr Ge-
mahl nicht, das paßt, sagt' er, wie die
Faust aufs Auge, und in Wahrheit, du
weißt nicht, wer Koch oder Kellner ist. --

Von der Frau v. W. wieder einen
Blick -- von ihrer liebenswürdigen Tochter
ein Lächeln. Leben Sie wohl und glücklich,
sagte die Frau v. W., -- und glücklich!
hall'te die liebe Kleine nach. -- Die Worte
fielen auf den jungen Herrn v. G.; allein
das Aug' auf mich. --

Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken
kam, daß mein Reisegefehrt' seiner kleinen
Braut einen Kuß geben solte. Ihrem Ret-
ter auch einen, sagte Herr v. G., und die
Frau v. W. als wenn sie darauf gewartet
hätte, freylich kleine Undankbare, das soltest
du von selbst thun -- ich nahm mich sehr un-
geschickt dabey. Die arme Kleine ward roth
über roth -- und da ich mich zum letzten-
mal gegen sie beugte, trat ihr eine Thrän'
in ihr blaues schönes Auge, welches so durch-
schimmerte, wie ein Veilchen durch ein Thau-

tröpf-

Alſo auch fuͤr eine alte Familie: Ein
neuer Edelmann, ſetzte ſie, um es noch ein-
druͤcklicher zu machen, hinzu, iſt ein Baum,
der noch nicht die Blattern gehabt, der noch
nicht oculirt iſt. — Weiter lies ſie ihr Ge-
mahl nicht, das paßt, ſagt’ er, wie die
Fauſt aufs Auge, und in Wahrheit, du
weißt nicht, wer Koch oder Kellner iſt. —

Von der Frau v. W. wieder einen
Blick — von ihrer liebenswuͤrdigen Tochter
ein Laͤcheln. Leben Sie wohl und gluͤcklich,
ſagte die Frau v. W., — und gluͤcklich!
hall’te die liebe Kleine nach. — Die Worte
fielen auf den jungen Herrn v. G.; allein
das Aug’ auf mich. —

Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken
kam, daß mein Reiſegefehrt’ ſeiner kleinen
Braut einen Kuß geben ſolte. Ihrem Ret-
ter auch einen, ſagte Herr v. G., und die
Frau v. W. als wenn ſie darauf gewartet
haͤtte, freylich kleine Undankbare, das ſolteſt
du von ſelbſt thun — ich nahm mich ſehr un-
geſchickt dabey. Die arme Kleine ward roth
uͤber roth — und da ich mich zum letzten-
mal gegen ſie beugte, trat ihr eine Thraͤn’
in ihr blaues ſchoͤnes Auge, welches ſo durch-
ſchimmerte, wie ein Veilchen durch ein Thau-

troͤpf-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0162" n="156"/>
          <p>Al&#x017F;o auch fu&#x0364;r eine <hi rendition="#fr">alte Familie</hi>: Ein<lb/>
neuer Edelmann, &#x017F;etzte &#x017F;ie, um es noch ein-<lb/>
dru&#x0364;cklicher zu machen, hinzu, i&#x017F;t ein Baum,<lb/>
der noch nicht die Blattern gehabt, der noch<lb/>
nicht oculirt i&#x017F;t. &#x2014; Weiter lies &#x017F;ie ihr Ge-<lb/>
mahl nicht, das paßt, &#x017F;agt&#x2019; er, wie die<lb/>
Fau&#x017F;t aufs Auge, und in Wahrheit, du<lb/>
weißt nicht, wer Koch oder Kellner i&#x017F;t. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Von der Frau v. W. wieder einen<lb/>
Blick &#x2014; von ihrer liebenswu&#x0364;rdigen Tochter<lb/>
ein La&#x0364;cheln. Leben Sie wohl und glu&#x0364;cklich,<lb/>
&#x017F;agte die Frau v. W., &#x2014; und glu&#x0364;cklich!<lb/>
hall&#x2019;te die liebe Kleine nach. &#x2014; Die Worte<lb/>
fielen auf den jungen Herrn v. G.; allein<lb/>
das Aug&#x2019; auf mich. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken<lb/>
kam, daß mein Rei&#x017F;egefehrt&#x2019; &#x017F;einer kleinen<lb/>
Braut einen Kuß geben &#x017F;olte. Ihrem Ret-<lb/>
ter auch einen, &#x017F;agte Herr v. G., und die<lb/>
Frau v. W. als wenn &#x017F;ie darauf gewartet<lb/>
ha&#x0364;tte, freylich kleine Undankbare, das &#x017F;olte&#x017F;t<lb/>
du von &#x017F;elb&#x017F;t thun &#x2014; ich nahm mich &#x017F;ehr un-<lb/>
ge&#x017F;chickt dabey. Die arme Kleine ward roth<lb/>
u&#x0364;ber roth &#x2014; und da ich mich zum letzten-<lb/>
mal gegen &#x017F;ie beugte, trat ihr eine Thra&#x0364;n&#x2019;<lb/>
in ihr blaues &#x017F;cho&#x0364;nes Auge, welches &#x017F;o durch-<lb/>
&#x017F;chimmerte, wie ein Veilchen durch ein Thau-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tro&#x0364;pf-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0162] Alſo auch fuͤr eine alte Familie: Ein neuer Edelmann, ſetzte ſie, um es noch ein- druͤcklicher zu machen, hinzu, iſt ein Baum, der noch nicht die Blattern gehabt, der noch nicht oculirt iſt. — Weiter lies ſie ihr Ge- mahl nicht, das paßt, ſagt’ er, wie die Fauſt aufs Auge, und in Wahrheit, du weißt nicht, wer Koch oder Kellner iſt. — Von der Frau v. W. wieder einen Blick — von ihrer liebenswuͤrdigen Tochter ein Laͤcheln. Leben Sie wohl und gluͤcklich, ſagte die Frau v. W., — und gluͤcklich! hall’te die liebe Kleine nach. — Die Worte fielen auf den jungen Herrn v. G.; allein das Aug’ auf mich. — Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken kam, daß mein Reiſegefehrt’ ſeiner kleinen Braut einen Kuß geben ſolte. Ihrem Ret- ter auch einen, ſagte Herr v. G., und die Frau v. W. als wenn ſie darauf gewartet haͤtte, freylich kleine Undankbare, das ſolteſt du von ſelbſt thun — ich nahm mich ſehr un- geſchickt dabey. Die arme Kleine ward roth uͤber roth — und da ich mich zum letzten- mal gegen ſie beugte, trat ihr eine Thraͤn’ in ihr blaues ſchoͤnes Auge, welches ſo durch- ſchimmerte, wie ein Veilchen durch ein Thau- troͤpf-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/162
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/162>, abgerufen am 04.12.2024.