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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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ein, diese Trostworte, wie Thau auf einer
welken Pflanze. --

Bey der dritten Strophe regnet' es schon:

Es ist allhier ein Jammerthal,
Angst, Noth und Trübsal überall;
des Bleibens ist eine kleine Zeit,
voll Mühseligkeit! --

Was ist der Mensch? Ein Erdenkloß,
von Mutterleibe nackt und blos;
bringt nichts mit sich auf diese Welt,
kein Gut noch Geld,
nimmt nichts mit sich, wenn er hinfält.

Ich hab hier wenig guter Tag;
mein täglich Brod ist Müh und Klag,
wenn mein Gott will, so will ich mit
hinfahren in Fried! --

O lieber Junge! singe, wenn du dieses
ließt. -- Gott weiß, wenn du es lesen wirst,
singe dieses schöne Regenlied! --

Deines Vaters Predigt war Vollendung
für mich, wie auf mich gemacht. Wort
für Wort auf mich. O lieber Junge, wie
glücklich ist man, wenn man todt ist -- wie
namlos glücklich! --

Er kam ohne Gebet mit den Worten auf
die Kanzel:

"Geh

ein, dieſe Troſtworte, wie Thau auf einer
welken Pflanze. —

Bey der dritten Strophe regnet’ es ſchon:

Es iſt allhier ein Jammerthal,
Angſt, Noth und Truͤbſal uͤberall;
des Bleibens iſt eine kleine Zeit,
voll Muͤhſeligkeit!

Was iſt der Menſch? Ein Erdenkloß,
von Mutterleibe nackt und blos;
bringt nichts mit ſich auf dieſe Welt,
kein Gut noch Geld,
nimmt nichts mit ſich, wenn er hinfaͤlt.

Ich hab hier wenig guter Tag;
mein taͤglich Brod iſt Muͤh und Klag,
wenn mein Gott will, ſo will ich mit
hinfahren in Fried!

O lieber Junge! ſinge, wenn du dieſes
ließt. — Gott weiß, wenn du es leſen wirſt,
ſinge dieſes ſchoͤne Regenlied! —

Deines Vaters Predigt war Vollendung
fuͤr mich, wie auf mich gemacht. Wort
fuͤr Wort auf mich. O lieber Junge, wie
gluͤcklich iſt man, wenn man todt iſt — wie
namlos gluͤcklich! —

Er kam ohne Gebet mit den Worten auf
die Kanzel:

„Geh
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[365/0373] ein, dieſe Troſtworte, wie Thau auf einer welken Pflanze. — Bey der dritten Strophe regnet’ es ſchon: Es iſt allhier ein Jammerthal, Angſt, Noth und Truͤbſal uͤberall; des Bleibens iſt eine kleine Zeit, voll Muͤhſeligkeit! — Was iſt der Menſch? Ein Erdenkloß, von Mutterleibe nackt und blos; bringt nichts mit ſich auf dieſe Welt, kein Gut noch Geld, nimmt nichts mit ſich, wenn er hinfaͤlt. Ich hab hier wenig guter Tag; mein taͤglich Brod iſt Muͤh und Klag, wenn mein Gott will, ſo will ich mit hinfahren in Fried! — O lieber Junge! ſinge, wenn du dieſes ließt. — Gott weiß, wenn du es leſen wirſt, ſinge dieſes ſchoͤne Regenlied! — Deines Vaters Predigt war Vollendung fuͤr mich, wie auf mich gemacht. Wort fuͤr Wort auf mich. O lieber Junge, wie gluͤcklich iſt man, wenn man todt iſt — wie namlos gluͤcklich! — Er kam ohne Gebet mit den Worten auf die Kanzel: „Geh

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/373>, abgerufen am 29.04.2024.