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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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an, spannt an, sie kommt! Ja "allein sie
fand Nein" und sah' sich genöthiget, alles
selbst zu berichtigen. -- Wer beten kann,
pflegte mein Vater selbst auf der Kanzel zu
sagen, kann auch mit Vornehmen und Ge-
ringen umgehen -- und dies fiel ihr ein,
wie sie schreibt. -- Sie fand die Bestätigung
zu derselben Stund, traf Anordnungen, schloß
Contrakt und reisete nach Mitau. -- Kurz
vor der Stadt hatte Mine einen neuen
Schreck, gegen den alles, was sie am Kran-
kenbett' ihres Bruders erlitten, nach ihrem
Ausdruck wie gar nichts war. Sie war
abgestiegen, weil der üble Weg diese Wa-
generleichterung nothwendig gemacht. Sie
suchte sich grüne schöne Stellen aus, wo sie
gieng, und wo sie mit den Vögeln des Him-
mels den Schöpfer lobte, in dessen heilige Hän-
de sie sich befahl. "Wenn auch hie und da
"schwere Stellen auf dem Wege des Lebens
"sind, es giebt doch, dacht' ich, links oder
"rechts grüne blumenreiche Stellen, aus denen
"uns die schöne Natur willkommen heißt. Gott
"segne meinen Mann, hilf meinem Bruder!
"-- so dacht' ich, oder so betete, so dankt'
"ich Gott" schreibt Mine, und schnell sprengte
ein Reuter auf sie zu, der sie steif ansahe,

und

an, ſpannt an, ſie kommt! Ja „allein ſie
fand Nein“ und ſah’ ſich genoͤthiget, alles
ſelbſt zu berichtigen. — Wer beten kann,
pflegte mein Vater ſelbſt auf der Kanzel zu
ſagen, kann auch mit Vornehmen und Ge-
ringen umgehen — und dies fiel ihr ein,
wie ſie ſchreibt. — Sie fand die Beſtaͤtigung
zu derſelben Stund, traf Anordnungen, ſchloß
Contrakt und reiſete nach Mitau. — Kurz
vor der Stadt hatte Mine einen neuen
Schreck, gegen den alles, was ſie am Kran-
kenbett’ ihres Bruders erlitten, nach ihrem
Ausdruck wie gar nichts war. Sie war
abgeſtiegen, weil der uͤble Weg dieſe Wa-
generleichterung nothwendig gemacht. Sie
ſuchte ſich gruͤne ſchoͤne Stellen aus, wo ſie
gieng, und wo ſie mit den Voͤgeln des Him-
mels den Schoͤpfer lobte, in deſſen heilige Haͤn-
de ſie ſich befahl. „Wenn auch hie und da
„ſchwere Stellen auf dem Wege des Lebens
„ſind, es giebt doch, dacht’ ich, links oder
„rechts gruͤne blumenreiche Stellen, aus denen
„uns die ſchoͤne Natur willkommen heißt. Gott
„ſegne meinen Mann, hilf meinem Bruder!
„— ſo dacht’ ich, oder ſo betete, ſo dankt’
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ein Reuter auf ſie zu, der ſie ſteif anſahe,

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[386/0394] an, ſpannt an, ſie kommt! Ja „allein ſie fand Nein“ und ſah’ ſich genoͤthiget, alles ſelbſt zu berichtigen. — Wer beten kann, pflegte mein Vater ſelbſt auf der Kanzel zu ſagen, kann auch mit Vornehmen und Ge- ringen umgehen — und dies fiel ihr ein, wie ſie ſchreibt. — Sie fand die Beſtaͤtigung zu derſelben Stund, traf Anordnungen, ſchloß Contrakt und reiſete nach Mitau. — Kurz vor der Stadt hatte Mine einen neuen Schreck, gegen den alles, was ſie am Kran- kenbett’ ihres Bruders erlitten, nach ihrem Ausdruck wie gar nichts war. Sie war abgeſtiegen, weil der uͤble Weg dieſe Wa- generleichterung nothwendig gemacht. Sie ſuchte ſich gruͤne ſchoͤne Stellen aus, wo ſie gieng, und wo ſie mit den Voͤgeln des Him- mels den Schoͤpfer lobte, in deſſen heilige Haͤn- de ſie ſich befahl. „Wenn auch hie und da „ſchwere Stellen auf dem Wege des Lebens „ſind, es giebt doch, dacht’ ich, links oder „rechts gruͤne blumenreiche Stellen, aus denen „uns die ſchoͤne Natur willkommen heißt. Gott „ſegne meinen Mann, hilf meinem Bruder! „— ſo dacht’ ich, oder ſo betete, ſo dankt’ „ich Gott“ ſchreibt Mine, und ſchnell ſprengte ein Reuter auf ſie zu, der ſie ſteif anſahe, und

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/394>, abgerufen am 29.04.2024.