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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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drücken? O ich armer Mann! O ich blut-
armer Mann, ich Bettler ich!


Komm, Schwesterchen, komm auf den
grünen Kirchhof, da liegt mein Mutterchen,
dein Mutterchen, wir wollen sie besuchen
beym Mondenlicht, wenn gute Geister nacht-
wandeln, und wenn sie in den Mond sehen,
in des lieben Gottes Nachtlampchen. Viel-
leicht erscheint sie uns, o möcht sie! vielleicht
frägt sie: was wolt ihr mein Paarchen,
was hier? Dich! ach dich! dich wollen wir,
dann kommt sie wohl mit -- und wenn sie
nicht vom Kirchhof kann, wenn sie nicht vom
grasgrünen Kirchhof will; laß uns bey ihr blei-
ben, Schwesterchen! bey ihr! Hier? o! wenn
wir nur bey dir sind, liebes Mutterchen "was
werdet ihr essen? grünes Kraut, das sieht
auf dem Kirchhof über und über "Was trin-
ken? Seht! kein Wasser des Lebens ist
hier! Den Thau des Morgens, den Thau
des Abends, wollen wir trinken, und wenn
der Thau sich des Morgens verspätet, wol-
len wir unsre Thränen trinken, die wir so
lange weinen werden, bis das Aug' uns
bricht, wie das Deine brach. O! wenn

wir

druͤcken? O ich armer Mann! O ich blut-
armer Mann, ich Bettler ich!


Komm, Schweſterchen, komm auf den
gruͤnen Kirchhof, da liegt mein Mutterchen,
dein Mutterchen, wir wollen ſie beſuchen
beym Mondenlicht, wenn gute Geiſter nacht-
wandeln, und wenn ſie in den Mond ſehen,
in des lieben Gottes Nachtlampchen. Viel-
leicht erſcheint ſie uns, o moͤcht ſie! vielleicht
fraͤgt ſie: was wolt ihr mein Paarchen,
was hier? Dich! ach dich! dich wollen wir,
dann kommt ſie wohl mit — und wenn ſie
nicht vom Kirchhof kann, wenn ſie nicht vom
grasgruͤnen Kirchhof will; laß uns bey ihr blei-
ben, Schweſterchen! bey ihr! Hier? o! wenn
wir nur bey dir ſind, liebes Mutterchen „was
werdet ihr eſſen? gruͤnes Kraut, das ſieht
auf dem Kirchhof uͤber und uͤber „Was trin-
ken? Seht! kein Waſſer des Lebens iſt
hier! Den Thau des Morgens, den Thau
des Abends, wollen wir trinken, und wenn
der Thau ſich des Morgens verſpaͤtet, wol-
len wir unſre Thraͤnen trinken, die wir ſo
lange weinen werden, bis das Aug’ uns
bricht, wie das Deine brach. O! wenn

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[568/0580] druͤcken? O ich armer Mann! O ich blut- armer Mann, ich Bettler ich! Komm, Schweſterchen, komm auf den gruͤnen Kirchhof, da liegt mein Mutterchen, dein Mutterchen, wir wollen ſie beſuchen beym Mondenlicht, wenn gute Geiſter nacht- wandeln, und wenn ſie in den Mond ſehen, in des lieben Gottes Nachtlampchen. Viel- leicht erſcheint ſie uns, o moͤcht ſie! vielleicht fraͤgt ſie: was wolt ihr mein Paarchen, was hier? Dich! ach dich! dich wollen wir, dann kommt ſie wohl mit — und wenn ſie nicht vom Kirchhof kann, wenn ſie nicht vom grasgruͤnen Kirchhof will; laß uns bey ihr blei- ben, Schweſterchen! bey ihr! Hier? o! wenn wir nur bey dir ſind, liebes Mutterchen „was werdet ihr eſſen? gruͤnes Kraut, das ſieht auf dem Kirchhof uͤber und uͤber „Was trin- ken? Seht! kein Waſſer des Lebens iſt hier! Den Thau des Morgens, den Thau des Abends, wollen wir trinken, und wenn der Thau ſich des Morgens verſpaͤtet, wol- len wir unſre Thraͤnen trinken, die wir ſo lange weinen werden, bis das Aug’ uns bricht, wie das Deine brach. O! wenn wir

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 568. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/580>, abgerufen am 30.04.2024.