Der Mensch ward feiner an Leib und Seele. Schand und Sünd ists freylich, daß die Seele nicht wachsen kann, wenn nicht zu- gleich auch der Körper verzärtelt wird, oder abnimmt.
So gehts! Der Stand der Sünde bringt uns gerades Weges zum Stande der Gnaden. Durch den Pastor -- bin ich zuerst auf diese Begriffe gekommen; indessen irrt er, wenn er des Glaubens ist, daß der monarchische Staat zum Stande der Gnaden eher, als der aristo- cratische und democratische führen werde. Mit nichten! Der monarchische Staat ist vielmehr der Stand der würklichen Sün- den; die andern Staatenarten sind Erbsün- de. Wenn der monarchische Staat erst zum höchsten Despotismus hinausgewachsen, kommt man wieder ins Freye! wogegen der freye Staat kaum den Namen des Standes der Sünde verdienet. Durch einen sanften Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten des Standes der Gnaden gedeyhen -- Man weis nicht wie. Sie sehen, Pastor! wie weit ich in der Orthodoxie gekommen. Sie sind nur drey, ich gar viergliedrig. Wenn sie die
theo-
O 5
Der Menſch ward feiner an Leib und Seele. Schand und Suͤnd iſts freylich, daß die Seele nicht wachſen kann, wenn nicht zu- gleich auch der Koͤrper verzaͤrtelt wird, oder abnimmt.
So gehts! Der Stand der Suͤnde bringt uns gerades Weges zum Stande der Gnaden. Durch den Paſtor — bin ich zuerſt auf dieſe Begriffe gekommen; indeſſen irrt er, wenn er des Glaubens iſt, daß der monarchiſche Staat zum Stande der Gnaden eher, als der ariſto- cratiſche und democratiſche fuͤhren werde. Mit nichten! Der monarchiſche Staat iſt vielmehr der Stand der wuͤrklichen Suͤn- den; die andern Staatenarten ſind Erbſuͤn- de. Wenn der monarchiſche Staat erſt zum hoͤchſten Deſpotismus hinausgewachſen, kommt man wieder ins Freye! wogegen der freye Staat kaum den Namen des Standes der Suͤnde verdienet. Durch einen ſanften Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten des Standes der Gnaden gedeyhen — Man weis nicht wie. Sie ſehen, Paſtor! wie weit ich in der Orthodoxie gekommen. Sie ſind nur drey, ich gar viergliedrig. Wenn ſie die
theo-
O 5
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0223"n="217"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Der Menſch ward feiner an Leib und<lb/>
Seele. Schand und Suͤnd iſts freylich, daß<lb/>
die Seele nicht wachſen kann, wenn nicht zu-<lb/>
gleich auch der Koͤrper verzaͤrtelt wird, oder<lb/>
abnimmt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>So gehts! Der Stand der Suͤnde bringt<lb/>
uns gerades Weges zum Stande der Gnaden.<lb/>
Durch den Paſtor — bin ich zuerſt auf dieſe<lb/>
Begriffe gekommen; indeſſen irrt er, wenn er<lb/>
des Glaubens iſt, daß der monarchiſche Staat<lb/>
zum Stande der Gnaden eher, als der ariſto-<lb/>
cratiſche und democratiſche fuͤhren werde.<lb/>
Mit nichten! Der monarchiſche Staat iſt<lb/>
vielmehr der Stand der <hirendition="#fr">wuͤrklichen</hi> Suͤn-<lb/>
den; die andern Staatenarten ſind <hirendition="#fr">Erbſuͤn-<lb/>
de.</hi> Wenn der monarchiſche Staat erſt<lb/>
zum hoͤchſten Deſpotismus hinausgewachſen,<lb/>
kommt man wieder ins Freye! wogegen der<lb/>
freye Staat kaum den Namen des Standes<lb/>
der Suͤnde verdienet. Durch einen ſanften<lb/>
Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten<lb/>
des Standes der Gnaden gedeyhen — Man<lb/>
weis nicht wie. Sie ſehen, Paſtor! wie weit<lb/>
ich in der Orthodoxie gekommen. Sie ſind<lb/>
nur drey, ich gar viergliedrig. Wenn ſie die<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">theo-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[217/0223]
Der Menſch ward feiner an Leib und
Seele. Schand und Suͤnd iſts freylich, daß
die Seele nicht wachſen kann, wenn nicht zu-
gleich auch der Koͤrper verzaͤrtelt wird, oder
abnimmt.
So gehts! Der Stand der Suͤnde bringt
uns gerades Weges zum Stande der Gnaden.
Durch den Paſtor — bin ich zuerſt auf dieſe
Begriffe gekommen; indeſſen irrt er, wenn er
des Glaubens iſt, daß der monarchiſche Staat
zum Stande der Gnaden eher, als der ariſto-
cratiſche und democratiſche fuͤhren werde.
Mit nichten! Der monarchiſche Staat iſt
vielmehr der Stand der wuͤrklichen Suͤn-
den; die andern Staatenarten ſind Erbſuͤn-
de. Wenn der monarchiſche Staat erſt
zum hoͤchſten Deſpotismus hinausgewachſen,
kommt man wieder ins Freye! wogegen der
freye Staat kaum den Namen des Standes
der Suͤnde verdienet. Durch einen ſanften
Schlaf kann man aus ihm zu den Seligkeiten
des Standes der Gnaden gedeyhen — Man
weis nicht wie. Sie ſehen, Paſtor! wie weit
ich in der Orthodoxie gekommen. Sie ſind
nur drey, ich gar viergliedrig. Wenn ſie die
theo-
O 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/223>, abgerufen am 01.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.