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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Die Welt ist vor der Hand nicht im
Stande der Gnaden. Man muß sie so ver-
brauchen. Doch befinde ich mich unter We-
sen, die mit mir zu einer Classe gehören, de-
nen Gott Augen, Ohren, Vernunft und alle
Sinne gegeben hat. Was ist billiger, als
daß ich in Rücksicht dieser meiner geliebten
Mitbrüder genau nach den Vorschriften ver-
fahre, die uns der Wille unseres gemein-
schaftlichen Urhebers vorgeschrieben hat. Im
Worte Bruder liegen alle diese Pflichten zu-
sammen. Bruder ist ein großes Wort. Mich
freut es recht von Herzen, daß dies Wort
in Curland so gang und gäbe ist! -- Zwar
ist es in den meisten Fällen nur so da, der
Mode halber, wie hohl dich -- indessen ist
Rom nicht an einem Tage erbaut.

Durch die Geburt sehe ich mich in gewisse
gesellschaftliche Verbindungen gesetzt, zu wel-
chen ich zwar meine Einwilligung nicht mit-
telst eines deutlichen und aufrichtigen Ja-
worts beygetragen; hab ich aber nicht An-
theil an den gemeinschaftlichen Vortheilen ge-
nommen? Fordern mich also Gesetze des
Staats, in dem ich lebe, auf, denen das

Ge-
Q 3

Die Welt iſt vor der Hand nicht im
Stande der Gnaden. Man muß ſie ſo ver-
brauchen. Doch befinde ich mich unter We-
ſen, die mit mir zu einer Claſſe gehoͤren, de-
nen Gott Augen, Ohren, Vernunft und alle
Sinne gegeben hat. Was iſt billiger, als
daß ich in Ruͤckſicht dieſer meiner geliebten
Mitbruͤder genau nach den Vorſchriften ver-
fahre, die uns der Wille unſeres gemein-
ſchaftlichen Urhebers vorgeſchrieben hat. Im
Worte Bruder liegen alle dieſe Pflichten zu-
ſammen. Bruder iſt ein großes Wort. Mich
freut es recht von Herzen, daß dies Wort
in Curland ſo gang und gaͤbe iſt! — Zwar
iſt es in den meiſten Faͤllen nur ſo da, der
Mode halber, wie hohl dich — indeſſen iſt
Rom nicht an einem Tage erbaut.

Durch die Geburt ſehe ich mich in gewiſſe
geſellſchaftliche Verbindungen geſetzt, zu wel-
chen ich zwar meine Einwilligung nicht mit-
telſt eines deutlichen und aufrichtigen Ja-
worts beygetragen; hab ich aber nicht An-
theil an den gemeinſchaftlichen Vortheilen ge-
nommen? Fordern mich alſo Geſetze des
Staats, in dem ich lebe, auf, denen das

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Q 3
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[245/0251] Die Welt iſt vor der Hand nicht im Stande der Gnaden. Man muß ſie ſo ver- brauchen. Doch befinde ich mich unter We- ſen, die mit mir zu einer Claſſe gehoͤren, de- nen Gott Augen, Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat. Was iſt billiger, als daß ich in Ruͤckſicht dieſer meiner geliebten Mitbruͤder genau nach den Vorſchriften ver- fahre, die uns der Wille unſeres gemein- ſchaftlichen Urhebers vorgeſchrieben hat. Im Worte Bruder liegen alle dieſe Pflichten zu- ſammen. Bruder iſt ein großes Wort. Mich freut es recht von Herzen, daß dies Wort in Curland ſo gang und gaͤbe iſt! — Zwar iſt es in den meiſten Faͤllen nur ſo da, der Mode halber, wie hohl dich — indeſſen iſt Rom nicht an einem Tage erbaut. Durch die Geburt ſehe ich mich in gewiſſe geſellſchaftliche Verbindungen geſetzt, zu wel- chen ich zwar meine Einwilligung nicht mit- telſt eines deutlichen und aufrichtigen Ja- worts beygetragen; hab ich aber nicht An- theil an den gemeinſchaftlichen Vortheilen ge- nommen? Fordern mich alſo Geſetze des Staats, in dem ich lebe, auf, denen das Ge- Q 3

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/251>, abgerufen am 14.05.2024.