weibliches Wesen alles zu entzücken vermag, so nannte man die Holländerin "Aline."
Zu der Zeit kam George Pepusch nach Berlin, Leu¬ wenhöcks schöne Nichte war das Gespräch des Tages, und so wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem Pepusch sich einlogiert, beinahe von nichts anderm ge¬ sprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja selbst die Weiber ent¬ zücke. Man drang in Pepusch, sich nur gleich auf die höchste Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu stel¬ len und die schöne Holländerin zu sehen. -- Pepusch hatte ein reizbares melancholisches Temperament; in jedem Genuß spürte er zu sehr den bittern Beige¬ schmack, der freilich aus dem schwarzen stygischen Bäch¬ lein kommt, das durch unser ganzes Leben rinnt und das machte ihn finster, in sich gekehrt, ja oft unge¬ recht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann den¬ ken, daß auf diese Weise Pepusch wenig aufgelegt war, hübschen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um seine vorge¬ faßte Meinung, daß auch hier, wie so oft im Leben, nur ein seltsamer Wahn spuke, bewährt zu sehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Hol¬ länderin gar hübsch, anmuthig, angenehm, indem er sie aber betrachtete, mußte er selbstgefällig seine Sagazität
weibliches Weſen alles zu entzücken vermag, ſo nannte man die Holländerin »Aline.»
Zu der Zeit kam George Pepuſch nach Berlin, Leu¬ wenhöcks ſchöne Nichte war das Geſpräch des Tages, und ſo wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem Pepuſch ſich einlogiert, beinahe von nichts anderm ge¬ ſprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja ſelbſt die Weiber ent¬ zücke. Man drang in Pepuſch, ſich nur gleich auf die höchſte Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu ſtel¬ len und die ſchöne Holländerin zu ſehen. — Pepuſch hatte ein reizbares melancholiſches Temperament; in jedem Genuß ſpürte er zu ſehr den bittern Beige¬ ſchmack, der freilich aus dem ſchwarzen ſtygiſchen Bäch¬ lein kommt, das durch unſer ganzes Leben rinnt und das machte ihn finſter, in ſich gekehrt, ja oft unge¬ recht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann den¬ ken, daß auf dieſe Weiſe Pepuſch wenig aufgelegt war, hübſchen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um ſeine vorge¬ faßte Meinung, daß auch hier, wie ſo oft im Leben, nur ein ſeltſamer Wahn ſpuke, bewährt zu ſehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Hol¬ länderin gar hübſch, anmuthig, angenehm, indem er ſie aber betrachtete, mußte er ſelbſtgefällig ſeine Sagazität
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weibliches Weſen alles zu entzücken vermag, ſo nannte
man die Holländerin »Aline.»
Zu der Zeit kam George Pepuſch nach Berlin, Leu¬
wenhöcks ſchöne Nichte war das Geſpräch des Tages, und
ſo wurde auch an der Wirthstafel des Hotels, in dem
Pepuſch ſich einlogiert, beinahe von nichts anderm ge¬
ſprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das
alle Männer, jung und alt, ja ſelbſt die Weiber ent¬
zücke. Man drang in Pepuſch, ſich nur gleich auf die
höchſte Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu ſtel¬
len und die ſchöne Holländerin zu ſehen. — Pepuſch
hatte ein reizbares melancholiſches Temperament; in
jedem Genuß ſpürte er zu ſehr den bittern Beige¬
ſchmack, der freilich aus dem ſchwarzen ſtygiſchen Bäch¬
lein kommt, das durch unſer ganzes Leben rinnt und
das machte ihn finſter, in ſich gekehrt, ja oft unge¬
recht gegen Alles, was ihn umgab. Man kann den¬
ken, daß auf dieſe Weiſe Pepuſch wenig aufgelegt
war, hübſchen Mädchen nachzulaufen, er ging aber
dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um ſeine vorge¬
faßte Meinung, daß auch hier, wie ſo oft im Leben,
nur ein ſeltſamer Wahn ſpuke, bewährt zu ſehen,
als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Hol¬
länderin gar hübſch, anmuthig, angenehm, indem er ſie
aber betrachtete, mußte er ſelbſtgefällig ſeine Sagazität
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Hoffmann, E. T. A.: Meister Floh. Frankfurt (Main), 1822, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_floh_1822/74>, abgerufen am 28.04.2024.
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