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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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men nannte, sprang in hellem Leben das Bild jener
verhängnißvollen Herbsttage hervor, die ich dort
verlebte. Ich sah den Baron -- Seraphinen,
aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich
selbst mit blankem Milchgesicht, schön frisirt und
gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet -- ja
mich den Verliebten, der wie ein Ofen seufzt, mit
Jammerlied auf seiner Liebsten Braue! -- In der
tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten
wie bunte Lichterchen V..s derbe Späße auf, die
mir nun ergötzlicher waren als damals. So von
Schmerz und wunderbarer Lust bewegt, stieg ich am
frühen Morgen in R..sitten aus dem Wagen,
der vor der Postexpedition hielt. Ich erkannte das
Haus des Oekonomieinspektors, ich frug nach ihm.
"Mit Verlaub," sprach der Postschreiber, indem
er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der
Nachtmütze rückte, "mit Verlaub, hier ist kein
Oekonomieinspektor, es ist ein königliches Amt und
der Herr Amtsrath belieben noch zu schlafen." Auf
weiteres Fragen erfuhr ich, daß schon vor sechszehn

men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener
verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort
verlebte. Ich ſah den Baron — Seraphinen,
aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich
ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und
gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja
mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit
Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! — In der
tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten
wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die
mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von
Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am
fruͤhen Morgen in R..ſitten aus dem Wagen,
der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das
Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm.
„Mit Verlaub,“ ſprach der Poſtſchreiber, indem
er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der
Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier iſt kein
Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und
der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen.“ Auf
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[252/0260] men nannte, ſprang in hellem Leben das Bild jener verhaͤngnißvollen Herbſttage hervor, die ich dort verlebte. Ich ſah den Baron — Seraphinen, aber auch die alten wunderlichen Tanten, mich ſelbſt mit blankem Milchgeſicht, ſchoͤn friſirt und gepudert, in zartes Himmelblau gekleidet — ja mich den Verliebten, der wie ein Ofen ſeufzt, mit Jammerlied auf ſeiner Liebſten Braue! — In der tiefen Wehmuth, die mich durchbebte, flackerten wie bunte Lichterchen V..s derbe Spaͤße auf, die mir nun ergoͤtzlicher waren als damals. So von Schmerz und wunderbarer Luſt bewegt, ſtieg ich am fruͤhen Morgen in R..ſitten aus dem Wagen, der vor der Poſtexpedition hielt. Ich erkannte das Haus des Oekonomieinſpektors, ich frug nach ihm. „Mit Verlaub,“ ſprach der Poſtſchreiber, indem er die Pfeife aus dem Munde nahm und an der Nachtmuͤtze ruͤckte, „mit Verlaub, hier iſt kein Oekonomieinſpektor, es iſt ein koͤnigliches Amt und der Herr Amtsrath belieben noch zu ſchlafen.“ Auf weiteres Fragen erfuhr ich, daß ſchon vor ſechszehn

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/260>, abgerufen am 12.05.2024.