Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

res Geräth. Die Hausfrau, ausgesöhnt mit der
Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der
sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte, glaubte
nach gewöhnlicher Weise sie aufheitern, unterhal¬
ten zu müssen, die Fremde bat aber mit den rüh¬
rendsten Worten, eine Einsamkeit nicht zu verstö¬
ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und
den Heiligen zugewandtem Sinn sie Tröstung
finde. Jedes Tages, so wie der Morgen graute,
begab sich Cölestine zu den Carmelitern, um die
Frühmesse zu hören; den übrigen Tag schien sie
unausgesetzt Andachtsübungen gewidmet zu haben,
denn so oft es auch nöthig wurde sie in ihrem
Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder betend
oder in frommen Büchern lesend. Sie verschmähte
andere Speise als Gemüse, anderes Getränk als
Wasser, und nur die dringendsten Vorstellungen
des Alten, daß ihr Zustand, das Wesen, das in
ihr lebe, bessere Kost fordere, konnten sie endlich
vermögen zuweilen Fleischbrühe und etwas Wein
zu genießen. Dieses strenge klösterliche Leben

res Geraͤth. Die Hausfrau, ausgeſoͤhnt mit der
Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der
ſich in ihrem ganzen Weſen offenbarte, glaubte
nach gewoͤhnlicher Weiſe ſie aufheitern, unterhal¬
ten zu muͤſſen, die Fremde bat aber mit den ruͤh¬
rendſten Worten, eine Einſamkeit nicht zu verſtoͤ¬
ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und
den Heiligen zugewandtem Sinn ſie Troͤſtung
finde. Jedes Tages, ſo wie der Morgen graute,
begab ſich Coͤleſtine zu den Carmelitern, um die
Fruͤhmeſſe zu hoͤren; den uͤbrigen Tag ſchien ſie
unausgeſetzt Andachtsuͤbungen gewidmet zu haben,
denn ſo oft es auch noͤthig wurde ſie in ihrem
Zimmer aufzuſuchen, fand man ſie entweder betend
oder in frommen Buͤchern leſend. Sie verſchmaͤhte
andere Speiſe als Gemuͤſe, anderes Getraͤnk als
Waſſer, und nur die dringendſten Vorſtellungen
des Alten, daß ihr Zuſtand, das Weſen, das in
ihr lebe, beſſere Koſt fordere, konnten ſie endlich
vermoͤgen zuweilen Fleiſchbruͤhe und etwas Wein
zu genießen. Dieſes ſtrenge kloͤſterliche Leben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="263"/>
res Gera&#x0364;th. Die Hausfrau, ausge&#x017F;o&#x0364;hnt mit der<lb/>
Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der<lb/>
&#x017F;ich in ihrem ganzen We&#x017F;en offenbarte, glaubte<lb/>
nach gewo&#x0364;hnlicher Wei&#x017F;e &#x017F;ie aufheitern, unterhal¬<lb/>
ten zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, die Fremde bat aber mit den ru&#x0364;<lb/>
rend&#x017F;ten Worten, eine Ein&#x017F;amkeit nicht zu ver&#x017F;to&#x0364;¬<lb/>
ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und<lb/>
den Heiligen zugewandtem Sinn &#x017F;ie Tro&#x0364;&#x017F;tung<lb/>
finde. Jedes Tages, &#x017F;o wie der Morgen graute,<lb/>
begab &#x017F;ich Co&#x0364;le&#x017F;tine zu den Carmelitern, um die<lb/>
Fru&#x0364;hme&#x017F;&#x017F;e zu ho&#x0364;ren; den u&#x0364;brigen Tag &#x017F;chien &#x017F;ie<lb/>
unausge&#x017F;etzt Andachtsu&#x0364;bungen gewidmet zu haben,<lb/>
denn &#x017F;o oft es auch no&#x0364;thig wurde &#x017F;ie in ihrem<lb/>
Zimmer aufzu&#x017F;uchen, fand man &#x017F;ie entweder betend<lb/>
oder in frommen Bu&#x0364;chern le&#x017F;end. Sie ver&#x017F;chma&#x0364;hte<lb/>
andere Spei&#x017F;e als Gemu&#x0364;&#x017F;e, anderes Getra&#x0364;nk als<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er, und nur die dringend&#x017F;ten Vor&#x017F;tellungen<lb/>
des Alten, daß ihr Zu&#x017F;tand, das We&#x017F;en, das in<lb/>
ihr lebe, be&#x017F;&#x017F;ere Ko&#x017F;t fordere, konnten &#x017F;ie endlich<lb/>
vermo&#x0364;gen zuweilen Flei&#x017F;chbru&#x0364;he und etwas Wein<lb/>
zu genießen. Die&#x017F;es &#x017F;trenge klo&#x0364;&#x017F;terliche Leben<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0271] res Geraͤth. Die Hausfrau, ausgeſoͤhnt mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der ſich in ihrem ganzen Weſen offenbarte, glaubte nach gewoͤhnlicher Weiſe ſie aufheitern, unterhal¬ ten zu muͤſſen, die Fremde bat aber mit den ruͤh¬ rendſten Worten, eine Einſamkeit nicht zu verſtoͤ¬ ren, in der allein mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn ſie Troͤſtung finde. Jedes Tages, ſo wie der Morgen graute, begab ſich Coͤleſtine zu den Carmelitern, um die Fruͤhmeſſe zu hoͤren; den uͤbrigen Tag ſchien ſie unausgeſetzt Andachtsuͤbungen gewidmet zu haben, denn ſo oft es auch noͤthig wurde ſie in ihrem Zimmer aufzuſuchen, fand man ſie entweder betend oder in frommen Buͤchern leſend. Sie verſchmaͤhte andere Speiſe als Gemuͤſe, anderes Getraͤnk als Waſſer, und nur die dringendſten Vorſtellungen des Alten, daß ihr Zuſtand, das Weſen, das in ihr lebe, beſſere Koſt fordere, konnten ſie endlich vermoͤgen zuweilen Fleiſchbruͤhe und etwas Wein zu genießen. Dieſes ſtrenge kloͤſterliche Leben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/271
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/271>, abgerufen am 24.05.2024.