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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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ne Versöhnung, wie im ewgen Leben, wenn der
Drang des Irdischen abgeschüttelt." "O ich bitte
dich," unterbrach ihn Wilibald, "laß uns doch ge¬
scheut seyn und nicht alte längst besprochene Dinge
aufs neue und gerade zur ungünstigsten Stunde
aufrühren. Ungünstig für derley Gespräche nenne
ich nehmlich deshalb eben diese Stunden, weil wir
gar nichts besseres thun können, als uns dem seltsa¬
men Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns
Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt
hat, hingeben. Siehst du wohl jenen Baum, dessen
ungeheure weiße Blüthen der Wind hin und her¬
schüttelt? -- Cactus grandiflorus kann es nicht
seyn, denn der blüht nur Mitternachts und ich spüre
auch nicht das Aroma, welches sich bis hieher ver¬
breiten müßte -- Weiß der Himmel, welchen Wun¬
derbaum der Hofrath wieder in sein Tusculum
verpflanzt hat." -- Die Freunde gingen auf den
Wunderbaum los und wunderten sich in der That
nicht wenig, als sie einen dicken dunklen Holunder¬
busch trafen, dessen Blüthen nichts anders waren,
als hineingehängte weißgepuderte Perücken, die mit

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ne Verſoͤhnung, wie im ewgen Leben, wenn der
Drang des Irdiſchen abgeſchuͤttelt.“ „O ich bitte
dich,“ unterbrach ihn Wilibald, „laß uns doch ge¬
ſcheut ſeyn und nicht alte laͤngſt beſprochene Dinge
aufs neue und gerade zur unguͤnſtigſten Stunde
aufruͤhren. Unguͤnſtig fuͤr derley Geſpraͤche nenne
ich nehmlich deshalb eben dieſe Stunden, weil wir
gar nichts beſſeres thun koͤnnen, als uns dem ſeltſa¬
men Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns
Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt
hat, hingeben. Siehſt du wohl jenen Baum, deſſen
ungeheure weiße Bluͤthen der Wind hin und her¬
ſchuͤttelt? — Cactus grandiflorus kann es nicht
ſeyn, denn der bluͤht nur Mitternachts und ich ſpuͤre
auch nicht das Aroma, welches ſich bis hieher ver¬
breiten muͤßte — Weiß der Himmel, welchen Wun¬
derbaum der Hofrath wieder in ſein Tusculum
verpflanzt hat.“ — Die Freunde gingen auf den
Wunderbaum los und wunderten ſich in der That
nicht wenig, als ſie einen dicken dunklen Holunder¬
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[339/0347] ne Verſoͤhnung, wie im ewgen Leben, wenn der Drang des Irdiſchen abgeſchuͤttelt.“ „O ich bitte dich,“ unterbrach ihn Wilibald, „laß uns doch ge¬ ſcheut ſeyn und nicht alte laͤngſt beſprochene Dinge aufs neue und gerade zur unguͤnſtigſten Stunde aufruͤhren. Unguͤnſtig fuͤr derley Geſpraͤche nenne ich nehmlich deshalb eben dieſe Stunden, weil wir gar nichts beſſeres thun koͤnnen, als uns dem ſeltſa¬ men Eindruck alles des Wunderlichen, womit uns Reutlingers Laune, wie in einen Rahmen eingefaßt hat, hingeben. Siehſt du wohl jenen Baum, deſſen ungeheure weiße Bluͤthen der Wind hin und her¬ ſchuͤttelt? — Cactus grandiflorus kann es nicht ſeyn, denn der bluͤht nur Mitternachts und ich ſpuͤre auch nicht das Aroma, welches ſich bis hieher ver¬ breiten muͤßte — Weiß der Himmel, welchen Wun¬ derbaum der Hofrath wieder in ſein Tusculum verpflanzt hat.“ — Die Freunde gingen auf den Wunderbaum los und wunderten ſich in der That nicht wenig, als ſie einen dicken dunklen Holunder¬ buſch trafen, deſſen Bluͤthen nichts anders waren, als hineingehaͤngte weißgepuderte Peruͤcken, die mit Y 2

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/347>, abgerufen am 25.05.2024.