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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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vor. -- Ich erblickte das öde Haus hinter mir,
das Fenster und in den schärfsten deutlichsten Zügen
die holde Engelsgestalt meiner Vision -- Schnell
kauft' ich den kleinen Spiegel, der mir es nun mög¬
lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬
barn aufzufallen, nach dem Fenster hinzuschauen. --
Doch, indem ich nun länger und länger das Ge¬
sicht im Fenster anblickte, wurd' ich von einem selt¬
samen, ganz unbeschreiblichen Gefühl, das ich bei¬
nahe waches Träumen nennen möchte, befangen.
Mir war es, als lähme eine Art Starrsucht nicht
sowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬
mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr
würde abwenden können von dem Spiegel. Mit
Beschämung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes
Ammenmährchen einfiel, womit mich in früher
Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette
trieb, wenn ich mich etwa gelüsten ließ, Abends
vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer
stehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie sagte
nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel

vor. — Ich erblickte das oͤde Haus hinter mir,
das Fenſter und in den ſchaͤrfſten deutlichſten Zuͤgen
die holde Engelsgeſtalt meiner Viſion — Schnell
kauft' ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moͤg¬
lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬
barn aufzufallen, nach dem Fenſter hinzuſchauen. —
Doch, indem ich nun laͤnger und laͤnger das Ge¬
ſicht im Fenſter anblickte, wurd' ich von einem ſelt¬
ſamen, ganz unbeſchreiblichen Gefuͤhl, das ich bei¬
nahe waches Traͤumen nennen moͤchte, befangen.
Mir war es, als laͤhme eine Art Starrſucht nicht
ſowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬
mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr
wuͤrde abwenden koͤnnen von dem Spiegel. Mit
Beſchaͤmung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes
Ammenmaͤhrchen einfiel, womit mich in fruͤher
Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette
trieb, wenn ich mich etwa geluͤſten ließ, Abends
vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer
ſtehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie ſagte
nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel

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[31/0039] vor. — Ich erblickte das oͤde Haus hinter mir, das Fenſter und in den ſchaͤrfſten deutlichſten Zuͤgen die holde Engelsgeſtalt meiner Viſion — Schnell kauft' ich den kleinen Spiegel, der mir es nun moͤg¬ lich machte, in bequemer Stellung, ohne den Nach¬ barn aufzufallen, nach dem Fenſter hinzuſchauen. — Doch, indem ich nun laͤnger und laͤnger das Ge¬ ſicht im Fenſter anblickte, wurd' ich von einem ſelt¬ ſamen, ganz unbeſchreiblichen Gefuͤhl, das ich bei¬ nahe waches Traͤumen nennen moͤchte, befangen. Mir war es, als laͤhme eine Art Starrſucht nicht ſowohl mein ganzes Regen und Bewegen als viel¬ mehr nur meinen Blick, den ich nun niemahls mehr wuͤrde abwenden koͤnnen von dem Spiegel. Mit Beſchaͤmung muß ich Euch bekennen, daß mir jenes Ammenmaͤhrchen einfiel, womit mich in fruͤher Kindheit meine Wart'frau augenblicklich zu Bette trieb, wenn ich mich etwa geluͤſten ließ, Abends vor dem großen Spiegel in meines Vaters Zimmer ſtehen zu bleiben und hinein zu gucken. Sie ſagte nehmlich, wenn Kinder Nachts in den Spiegel

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/39>, abgerufen am 28.04.2024.