Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm dort geschehen, schrieb er lediglich der Schuld
der Vorfahren zu, die die Ahnenburg böslich ver¬
ließen. Um für die Zukunft wenigstens das Haupt
der Familie an das Stammhaus zu fesseln, be¬
stimmte er es zu einem Majoratsbesitzthum. Der
Landesherr bestätigte die Stiftung um so lieber,
als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬
milie, deren Zweige schon in das Ausland herüber¬
rankten, für das Vaterland gewonnen werden
sollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der
jetzige Majoratsherr, wie sein Großvater Roderich
geheißen, mochte indessen in dem Stammschlosse
hausen, beide blieben in Curland. Man mußte
glauben, daß sie, heit'rer und lebenslustiger gesinnt,
als der düstre Ahnherr, die schaurige Oede des
Aufenthalts scheuten. Freiherr Roderich hatte zwei
alten, unverheiratheten Schwestern seines Vaters,
die mager ausgestattet in Dürftigkeit lebten, Woh¬
nung und Unterhalt auf dem Gute gestattet. Diese
saßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen
warmen Zimmern des Nebenflügels, und außer

ihm dort geſchehen, ſchrieb er lediglich der Schuld
der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boͤslich ver¬
ließen. Um fuͤr die Zukunft wenigſtens das Haupt
der Familie an das Stammhaus zu feſſeln, be¬
ſtimmte er es zu einem Majoratsbeſitzthum. Der
Landesherr beſtaͤtigte die Stiftung um ſo lieber,
als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬
milie, deren Zweige ſchon in das Ausland heruͤber¬
rankten, fuͤr das Vaterland gewonnen werden
ſollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der
jetzige Majoratsherr, wie ſein Großvater Roderich
geheißen, mochte indeſſen in dem Stammſchloſſe
hauſen, beide blieben in Curland. Man mußte
glauben, daß ſie, heit'rer und lebensluſtiger geſinnt,
als der duͤſtre Ahnherr, die ſchaurige Oede des
Aufenthalts ſcheuten. Freiherr Roderich hatte zwei
alten, unverheiratheten Schweſtern ſeines Vaters,
die mager ausgeſtattet in Duͤrftigkeit lebten, Woh¬
nung und Unterhalt auf dem Gute geſtattet. Dieſe
ſaßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen
warmen Zimmern des Nebenfluͤgels, und außer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0086" n="78"/>
ihm dort ge&#x017F;chehen, &#x017F;chrieb er lediglich der Schuld<lb/>
der Vorfahren zu, die die Ahnenburg bo&#x0364;slich ver¬<lb/>
ließen. Um fu&#x0364;r die Zukunft wenig&#x017F;tens das Haupt<lb/>
der Familie an das Stammhaus zu fe&#x017F;&#x017F;eln, be¬<lb/>
&#x017F;timmte er es zu einem Majoratsbe&#x017F;itzthum. Der<lb/>
Landesherr be&#x017F;ta&#x0364;tigte die Stiftung um &#x017F;o lieber,<lb/>
als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬<lb/>
milie, deren Zweige &#x017F;chon in das Ausland heru&#x0364;ber¬<lb/>
rankten, fu&#x0364;r das Vaterland gewonnen werden<lb/>
&#x017F;ollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der<lb/>
jetzige Majoratsherr, wie &#x017F;ein Großvater Roderich<lb/>
geheißen, mochte inde&#x017F;&#x017F;en in dem Stamm&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;e<lb/>
hau&#x017F;en, beide blieben in Curland. Man mußte<lb/>
glauben, daß &#x017F;ie, heit'rer und lebenslu&#x017F;tiger ge&#x017F;innt,<lb/>
als der du&#x0364;&#x017F;tre Ahnherr, die &#x017F;chaurige Oede des<lb/>
Aufenthalts &#x017F;cheuten. Freiherr Roderich hatte zwei<lb/>
alten, unverheiratheten Schwe&#x017F;tern &#x017F;eines Vaters,<lb/>
die mager ausge&#x017F;tattet in Du&#x0364;rftigkeit lebten, Woh¬<lb/>
nung und Unterhalt auf dem Gute ge&#x017F;tattet. Die&#x017F;e<lb/>
&#x017F;aßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen<lb/>
warmen Zimmern des Nebenflu&#x0364;gels, und außer<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0086] ihm dort geſchehen, ſchrieb er lediglich der Schuld der Vorfahren zu, die die Ahnenburg boͤslich ver¬ ließen. Um fuͤr die Zukunft wenigſtens das Haupt der Familie an das Stammhaus zu feſſeln, be¬ ſtimmte er es zu einem Majoratsbeſitzthum. Der Landesherr beſtaͤtigte die Stiftung um ſo lieber, als dadurch eine, an ritterlicher Tugend reiche Fa¬ milie, deren Zweige ſchon in das Ausland heruͤber¬ rankten, fuͤr das Vaterland gewonnen werden ſollte. Weder Roderichs Sohn, Hubert, noch der jetzige Majoratsherr, wie ſein Großvater Roderich geheißen, mochte indeſſen in dem Stammſchloſſe hauſen, beide blieben in Curland. Man mußte glauben, daß ſie, heit'rer und lebensluſtiger geſinnt, als der duͤſtre Ahnherr, die ſchaurige Oede des Aufenthalts ſcheuten. Freiherr Roderich hatte zwei alten, unverheiratheten Schweſtern ſeines Vaters, die mager ausgeſtattet in Duͤrftigkeit lebten, Woh¬ nung und Unterhalt auf dem Gute geſtattet. Dieſe ſaßen mit einer bejahrten Dienerin in den kleinen warmen Zimmern des Nebenfluͤgels, und außer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/86
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/86>, abgerufen am 11.05.2024.