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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709.

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Vermischte Getichte.
Wenn sich die gantze welt in tieffen schlaf begräbt.
Wer ihm alleine nur, und nicht dem staate lebt,
Jst keiner crone werth. Denn sich wohl zu regieren,
Jst zwar sehr grosse kunst; Doch größre, andre führen:
Die gröste, beydes thun. Und es ist gantz gemein,
Daß der, dem jeder dient, muß vielen dienstbar seyn.
Der lohn für unsre müh ist süsse milch und wolle:
Wir wissen, daß man nichts zu sehr beschweren solle,
Und ziehn den schafen nicht gleich haut und leder ab:
Ein fürst lebt freylich nicht durch seinen blossen stab,
Und muß, wofern er soll die länder recht beschützen,
Nicht, wie der pöfel gehn, und in dem winckel sitzen;
Allein er muß auch nicht das recht in macht verdrehn,
Und mehr auf falsche pracht, als wahre nothdurfft sehn:
Denn jeder bauer, der durch seine last verdirbet,
Jst zeuge, daß er schon an seinem glücke stirbet.
Wir armen schäfer sind mit weid und vieh vergnügt:
Wir forschen nicht, wie groß der nachbarn wiese liegt:
Wie weit ihr acker grentzt: Wie viel sie lämmer zehlen:
Und wie wir endlich gar uns möchten reicher stehlen.
Was ist doch schändlicher, als wenn ein grosser fürst,
Gleichwie ein tieger-thier, nach fremdem blute dürst:
Sich durch betrug und list in fette länder spielet:
Mit Alexandern fast die halbe welt durchwühlet,
Und hundert tausend mann vor eine Festung giebt?
Wenn er die ehrsucht mehr, als sein gewissen, liebt:
Mit eyd und schwüren schertzt: Das völcker-recht verlachet:
Schon wieder krieg anhebt, indem er friede machet:
Und meint, er habe mehr als Scipio gethan,
Wenn er zwey worte nur in titul flicken kan?
Die wahre herrschungs-kunst besteht in keinen meilen,
Man kan ein grosses land gar leicht ins kleine theilen;
Der aber ist ein held, der durch vernunfft und fleiß
Das, was ihm GOtt geschenckt, wohl zu erhalten weiß.
So artig findet man in schäfern abgerissen,
Was ein gecröntes haurt soll auf dem throne wissen.
Allein
Vermiſchte Getichte.
Wenn ſich die gantze welt in tieffen ſchlaf begraͤbt.
Wer ihm alleine nur, und nicht dem ſtaate lebt,
Jſt keiner crone werth. Denn ſich wohl zu regieren,
Jſt zwar ſehr groſſe kunſt; Doch groͤßre, andre fuͤhren:
Die groͤſte, beydes thun. Und es iſt gantz gemein,
Daß der, dem jeder dient, muß vielen dienſtbar ſeyn.
Der lohn fuͤr unſre muͤh iſt ſuͤſſe milch und wolle:
Wir wiſſen, daß man nichts zu ſehr beſchweren ſolle,
Und ziehn den ſchafen nicht gleich haut und leder ab:
Ein fuͤrſt lebt freylich nicht durch ſeinen bloſſen ſtab,
Und muß, wofern er ſoll die laͤnder recht beſchuͤtzen,
Nicht, wie der poͤfel gehn, und in dem winckel ſitzen;
Allein er muß auch nicht das recht in macht verdrehn,
Und mehr auf falſche pracht, als wahre nothdurfft ſehn:
Denn jeder bauer, der durch ſeine laſt verdirbet,
Jſt zeuge, daß er ſchon an ſeinem gluͤcke ſtirbet.
Wir armen ſchaͤfer ſind mit weid und vieh vergnuͤgt:
Wir forſchen nicht, wie groß der nachbarn wieſe liegt:
Wie weit ihr acker grentzt: Wie viel ſie laͤmmer zehlen:
Und wie wir endlich gar uns moͤchten reicher ſtehlen.
Was iſt doch ſchaͤndlicher, als wenn ein groſſer fuͤrſt,
Gleichwie ein tieger-thier, nach fremdem blute duͤrſt:
Sich durch betrug und liſt in fette laͤnder ſpielet:
Mit Alexandern faſt die halbe welt durchwuͤhlet,
Und hundert tauſend mann vor eine Feſtung giebt?
Wenn er die ehrſucht mehr, als ſein gewiſſen, liebt:
Mit eyd und ſchwuͤren ſchertzt: Das voͤlcker-recht verlachet:
Schon wieder krieg anhebt, indem er friede machet:
Und meint, er habe mehr als Scipio gethan,
Wenn er zwey worte nur in titul flicken kan?
Die wahre herꝛſchungs-kunſt beſteht in keinen meilen,
Man kan ein groſſes land gar leicht ins kleine theilen;
Der aber iſt ein held, der durch vernunfft und fleiß
Das, was ihm GOtt geſchenckt, wohl zu erhalten weiß.
So artig findet man in ſchaͤfern abgeriſſen,
Was ein gecroͤntes haurt ſoll auf dem throne wiſſen.
Allein
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[203/0227] Vermiſchte Getichte. Wenn ſich die gantze welt in tieffen ſchlaf begraͤbt. Wer ihm alleine nur, und nicht dem ſtaate lebt, Jſt keiner crone werth. Denn ſich wohl zu regieren, Jſt zwar ſehr groſſe kunſt; Doch groͤßre, andre fuͤhren: Die groͤſte, beydes thun. Und es iſt gantz gemein, Daß der, dem jeder dient, muß vielen dienſtbar ſeyn. Der lohn fuͤr unſre muͤh iſt ſuͤſſe milch und wolle: Wir wiſſen, daß man nichts zu ſehr beſchweren ſolle, Und ziehn den ſchafen nicht gleich haut und leder ab: Ein fuͤrſt lebt freylich nicht durch ſeinen bloſſen ſtab, Und muß, wofern er ſoll die laͤnder recht beſchuͤtzen, Nicht, wie der poͤfel gehn, und in dem winckel ſitzen; Allein er muß auch nicht das recht in macht verdrehn, Und mehr auf falſche pracht, als wahre nothdurfft ſehn: Denn jeder bauer, der durch ſeine laſt verdirbet, Jſt zeuge, daß er ſchon an ſeinem gluͤcke ſtirbet. Wir armen ſchaͤfer ſind mit weid und vieh vergnuͤgt: Wir forſchen nicht, wie groß der nachbarn wieſe liegt: Wie weit ihr acker grentzt: Wie viel ſie laͤmmer zehlen: Und wie wir endlich gar uns moͤchten reicher ſtehlen. Was iſt doch ſchaͤndlicher, als wenn ein groſſer fuͤrſt, Gleichwie ein tieger-thier, nach fremdem blute duͤrſt: Sich durch betrug und liſt in fette laͤnder ſpielet: Mit Alexandern faſt die halbe welt durchwuͤhlet, Und hundert tauſend mann vor eine Feſtung giebt? Wenn er die ehrſucht mehr, als ſein gewiſſen, liebt: Mit eyd und ſchwuͤren ſchertzt: Das voͤlcker-recht verlachet: Schon wieder krieg anhebt, indem er friede machet: Und meint, er habe mehr als Scipio gethan, Wenn er zwey worte nur in titul flicken kan? Die wahre herꝛſchungs-kunſt beſteht in keinen meilen, Man kan ein groſſes land gar leicht ins kleine theilen; Der aber iſt ein held, der durch vernunfft und fleiß Das, was ihm GOtt geſchenckt, wohl zu erhalten weiß. So artig findet man in ſchaͤfern abgeriſſen, Was ein gecroͤntes haurt ſoll auf dem throne wiſſen. Allein

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Zitationshilfe: Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/227>, abgerufen am 28.04.2024.