Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

Grase, sind kein Blumenteppich wie unsere --
gewiß weniger gute Wiesen und Weiden -- und
da mahlt sich der gute kindliche Mensch die bun-
ten Farben an seine Wände, denn das Herz will
fröhlichen Anblick, und ich könnte beten für Dank,
daß so viele Mittel zur Freude da sind.

Abends kamen wir, statt nach des Kutschers
Zusage Cleve zu erreichen, nur bis Xanthen, wo
ehemals der berühmte Pav sein Canonikat besaß,
und sein Leben zubrachte. In meiner Jugend las
ich von ein paar gescheuten Leuten, und hörte
von ein paar andern die wehmüthig verwundernde
Klage, daß ein so gelehrter Mann sich in Xanthen
bilden, in Xanthen leben müßte. Ich weiß nicht
ob diese Verwunderung eine Analogie hat mit der
Verwunderung jenes Liebhabers, wie ihn seine
Braut benachrichtigte, daß sie aus Dippoldis-
walde sei -- aber etwas läppisch sind diese Er-
staunen doch über die Plätze, wo kluge Menschen
geboren und gediehen sind, sintemal
Der ganze Luftkreis ist des Adlers Bahn. --

Und wenn ich nun dagegen aufstehe und sage,
daß Xanthen recht dazu gemacht ist, einen for-
schenden, sinnenden Philosophen zu bilden, wel-

Graſe, ſind kein Blumenteppich wie unſere —
gewiß weniger gute Wieſen und Weiden — und
da mahlt ſich der gute kindliche Menſch die bun-
ten Farben an ſeine Waͤnde, denn das Herz will
froͤhlichen Anblick, und ich koͤnnte beten fuͤr Dank,
daß ſo viele Mittel zur Freude da ſind.

Abends kamen wir, ſtatt nach des Kutſchers
Zuſage Cleve zu erreichen, nur bis Xanthen, wo
ehemals der beruͤhmte Pav ſein Canonikat beſaß,
und ſein Leben zubrachte. In meiner Jugend las
ich von ein paar geſcheuten Leuten, und hoͤrte
von ein paar andern die wehmuͤthig verwundernde
Klage, daß ein ſo gelehrter Mann ſich in Xanthen
bilden, in Xanthen leben muͤßte. Ich weiß nicht
ob dieſe Verwunderung eine Analogie hat mit der
Verwunderung jenes Liebhabers, wie ihn ſeine
Braut benachrichtigte, daß ſie aus Dippoldis-
walde ſei — aber etwas laͤppiſch ſind dieſe Er-
ſtaunen doch uͤber die Plaͤtze, wo kluge Menſchen
geboren und gediehen ſind, ſintemal
Der ganze Luftkreis iſt des Adlers Bahn. —

Und wenn ich nun dagegen aufſtehe und ſage,
daß Xanthen recht dazu gemacht iſt, einen for-
ſchenden, ſinnenden Philoſophen zu bilden, wel-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="87"/>
Gra&#x017F;e, &#x017F;ind kein Blumenteppich wie un&#x017F;ere &#x2014;<lb/>
gewiß weniger gute Wie&#x017F;en und Weiden &#x2014; und<lb/>
da mahlt &#x017F;ich der gute kindliche Men&#x017F;ch die bun-<lb/>
ten Farben an &#x017F;eine Wa&#x0364;nde, denn das Herz will<lb/>
fro&#x0364;hlichen Anblick, und ich ko&#x0364;nnte beten fu&#x0364;r Dank,<lb/>
daß &#x017F;o viele Mittel zur Freude da &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Abends kamen wir, &#x017F;tatt nach des Kut&#x017F;chers<lb/>
Zu&#x017F;age Cleve zu erreichen, nur bis Xanthen, wo<lb/>
ehemals der beru&#x0364;hmte Pav &#x017F;ein Canonikat be&#x017F;aß,<lb/>
und &#x017F;ein Leben zubrachte. In meiner Jugend las<lb/>
ich von ein paar ge&#x017F;cheuten Leuten, und ho&#x0364;rte<lb/>
von ein paar andern die wehmu&#x0364;thig verwundernde<lb/>
Klage, daß ein &#x017F;o gelehrter Mann &#x017F;ich in Xanthen<lb/>
bilden, in Xanthen leben mu&#x0364;ßte. Ich weiß nicht<lb/>
ob die&#x017F;e Verwunderung eine Analogie hat mit der<lb/>
Verwunderung jenes Liebhabers, wie ihn &#x017F;eine<lb/>
Braut benachrichtigte, daß &#x017F;ie aus Dippoldis-<lb/>
walde &#x017F;ei &#x2014; aber etwas la&#x0364;ppi&#x017F;ch &#x017F;ind die&#x017F;e Er-<lb/>
&#x017F;taunen doch u&#x0364;ber die Pla&#x0364;tze, wo kluge Men&#x017F;chen<lb/>
geboren und gediehen &#x017F;ind, &#x017F;intemal<lb/><hi rendition="#et">Der ganze Luftkreis i&#x017F;t des Adlers Bahn. &#x2014;</hi></p><lb/>
        <p>Und wenn ich nun dagegen auf&#x017F;tehe und &#x017F;age,<lb/>
daß Xanthen recht dazu gemacht i&#x017F;t, einen for-<lb/>
&#x017F;chenden, &#x017F;innenden Philo&#x017F;ophen zu bilden, wel-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] Graſe, ſind kein Blumenteppich wie unſere — gewiß weniger gute Wieſen und Weiden — und da mahlt ſich der gute kindliche Menſch die bun- ten Farben an ſeine Waͤnde, denn das Herz will froͤhlichen Anblick, und ich koͤnnte beten fuͤr Dank, daß ſo viele Mittel zur Freude da ſind. Abends kamen wir, ſtatt nach des Kutſchers Zuſage Cleve zu erreichen, nur bis Xanthen, wo ehemals der beruͤhmte Pav ſein Canonikat beſaß, und ſein Leben zubrachte. In meiner Jugend las ich von ein paar geſcheuten Leuten, und hoͤrte von ein paar andern die wehmuͤthig verwundernde Klage, daß ein ſo gelehrter Mann ſich in Xanthen bilden, in Xanthen leben muͤßte. Ich weiß nicht ob dieſe Verwunderung eine Analogie hat mit der Verwunderung jenes Liebhabers, wie ihn ſeine Braut benachrichtigte, daß ſie aus Dippoldis- walde ſei — aber etwas laͤppiſch ſind dieſe Er- ſtaunen doch uͤber die Plaͤtze, wo kluge Menſchen geboren und gediehen ſind, ſintemal Der ganze Luftkreis iſt des Adlers Bahn. — Und wenn ich nun dagegen aufſtehe und ſage, daß Xanthen recht dazu gemacht iſt, einen for- ſchenden, ſinnenden Philoſophen zu bilden, wel-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/101
Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/101>, abgerufen am 29.04.2024.