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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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nicht schämen, die also einen ununterbrochenen
Umlauf der Begriffe durch alle Stände des Vol-
kes gestattet. Die Schweizer haben keine Bücher
in ihrer Sprache, und die von ihnen angenom-
mene bleibt ihnen ewig fremd, denn eine Sprache,
in der ich nicht im Traume spreche, und wachend
denke, in der ich nicht mein Kind liebkose und mit
meinem Freund streite, bleibt mir eine fremde
Sprache. An einigen Orten wissen sie gar nicht
mehr, welches ihre Sprache ist, denn da mischt
sich ein Französisch hinein, das eben so viel zur
Ideenverwirrung und Stockung beitragen muß,
wie ihre brave Schweizersprache, und ihr Hoch-
deutsch. Warum mögen die Schweizer ihre Spra-
che nicht eben so gut zur Büchersprache gemacht
haben wie die Holländer das Holländische?
Schweizerdeutsch ist dem reinen Hochdeutsch nicht
viel näher als dieses dem Holländischen scheint;
ja mir däucht es sei durch die Abstammung der
fremden Worte, noch verschiedner vom Deutschen
wie das Holländische. Und die Holländer thun
recht gut, ihre Sprache zu behaupten, denn so-
bald der Deutsche sich frei gemacht hat durch die
Aehnlichkeit der Töne häufigen oft höchst lächer-
lichen Reminiscenzen ausgesetzt zu seyn, so muß

nicht ſchaͤmen, die alſo einen ununterbrochenen
Umlauf der Begriffe durch alle Staͤnde des Vol-
kes geſtattet. Die Schweizer haben keine Buͤcher
in ihrer Sprache, und die von ihnen angenom-
mene bleibt ihnen ewig fremd, denn eine Sprache,
in der ich nicht im Traume ſpreche, und wachend
denke, in der ich nicht mein Kind liebkoſe und mit
meinem Freund ſtreite, bleibt mir eine fremde
Sprache. An einigen Orten wiſſen ſie gar nicht
mehr, welches ihre Sprache iſt, denn da miſcht
ſich ein Franzoͤſiſch hinein, das eben ſo viel zur
Ideenverwirrung und Stockung beitragen muß,
wie ihre brave Schweizerſprache, und ihr Hoch-
deutſch. Warum moͤgen die Schweizer ihre Spra-
che nicht eben ſo gut zur Buͤcherſprache gemacht
haben wie die Hollaͤnder das Hollaͤndiſche?
Schweizerdeutſch iſt dem reinen Hochdeutſch nicht
viel naͤher als dieſes dem Hollaͤndiſchen ſcheint;
ja mir daͤucht es ſei durch die Abſtammung der
fremden Worte, noch verſchiedner vom Deutſchen
wie das Hollaͤndiſche. Und die Hollaͤnder thun
recht gut, ihre Sprache zu behaupten, denn ſo-
bald der Deutſche ſich frei gemacht hat durch die
Aehnlichkeit der Toͤne haͤufigen oft hoͤchſt laͤcher-
lichen Reminiſcenzen ausgeſetzt zu ſeyn, ſo muß

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[100/0114] nicht ſchaͤmen, die alſo einen ununterbrochenen Umlauf der Begriffe durch alle Staͤnde des Vol- kes geſtattet. Die Schweizer haben keine Buͤcher in ihrer Sprache, und die von ihnen angenom- mene bleibt ihnen ewig fremd, denn eine Sprache, in der ich nicht im Traume ſpreche, und wachend denke, in der ich nicht mein Kind liebkoſe und mit meinem Freund ſtreite, bleibt mir eine fremde Sprache. An einigen Orten wiſſen ſie gar nicht mehr, welches ihre Sprache iſt, denn da miſcht ſich ein Franzoͤſiſch hinein, das eben ſo viel zur Ideenverwirrung und Stockung beitragen muß, wie ihre brave Schweizerſprache, und ihr Hoch- deutſch. Warum moͤgen die Schweizer ihre Spra- che nicht eben ſo gut zur Buͤcherſprache gemacht haben wie die Hollaͤnder das Hollaͤndiſche? Schweizerdeutſch iſt dem reinen Hochdeutſch nicht viel naͤher als dieſes dem Hollaͤndiſchen ſcheint; ja mir daͤucht es ſei durch die Abſtammung der fremden Worte, noch verſchiedner vom Deutſchen wie das Hollaͤndiſche. Und die Hollaͤnder thun recht gut, ihre Sprache zu behaupten, denn ſo- bald der Deutſche ſich frei gemacht hat durch die Aehnlichkeit der Toͤne haͤufigen oft hoͤchſt laͤcher- lichen Reminiſcenzen ausgeſetzt zu ſeyn, ſo muß

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/114>, abgerufen am 29.04.2024.