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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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ren Kindern leben wollen, die Kinder vertraulich
mit den Eltern verkehren -- ist es das nicht? und
wenn es das ist, beten wir dann nicht schon? wir
sprechen also dann nur den Eingang ins Gebet
aus, wenn wir vereint in einem Gedanken das
Wesen nennen, durch das dieser Augenblick uns
geschenkt ward.

Oft zeigt sich dieses religiöse Bedürfniß in ei-
ner freilich uns sehr befremdeten Gestalt, die wir
nur aus den Jahrbüchern Ludwigs des Vierzehn-
ten kennen. Frauen, welche bis dahin dem Ton
der Zeit gefolgt waren, ziehen sich plötzlich aus
der Welt zurück, verändern ihren modernen An-
zug in die einfache Bürgertracht, und widmen den
größten Theil ihrer Zeit öffentlichen und Privat-
andachten. Diese letzten versammeln Menschen
aus allen Ständen und finden in Bürgerhäusern
statt, wo denn die Anzahl der Frommen oft so
groß ist, daß die Treppen, der Vorsaal gedrängt
voll ist, und man zufällige Botschaften durch die
Fenster vernimmt, weil die Thüren zu sehr mit
Menschen umringt sind. Die Redner in diesen
Versammlungen sind oft Geistliche, zuweilen fol-
gen aber auch Laien dem Bedürfniß, ihr volles
Herz oder ihre lebhafte Ueberzeugung ihren Brü-

ren Kindern leben wollen, die Kinder vertraulich
mit den Eltern verkehren — iſt es das nicht? und
wenn es das iſt, beten wir dann nicht ſchon? wir
ſprechen alſo dann nur den Eingang ins Gebet
aus, wenn wir vereint in einem Gedanken das
Weſen nennen, durch das dieſer Augenblick uns
geſchenkt ward.

Oft zeigt ſich dieſes religioͤſe Beduͤrfniß in ei-
ner freilich uns ſehr befremdeten Geſtalt, die wir
nur aus den Jahrbuͤchern Ludwigs des Vierzehn-
ten kennen. Frauen, welche bis dahin dem Ton
der Zeit gefolgt waren, ziehen ſich ploͤtzlich aus
der Welt zuruͤck, veraͤndern ihren modernen An-
zug in die einfache Buͤrgertracht, und widmen den
groͤßten Theil ihrer Zeit oͤffentlichen und Privat-
andachten. Dieſe letzten verſammeln Menſchen
aus allen Staͤnden und finden in Buͤrgerhaͤuſern
ſtatt, wo denn die Anzahl der Frommen oft ſo
groß iſt, daß die Treppen, der Vorſaal gedraͤngt
voll iſt, und man zufaͤllige Botſchaften durch die
Fenſter vernimmt, weil die Thuͤren zu ſehr mit
Menſchen umringt ſind. Die Redner in dieſen
Verſammlungen ſind oft Geiſtliche, zuweilen fol-
gen aber auch Laien dem Beduͤrfniß, ihr volles
Herz oder ihre lebhafte Ueberzeugung ihren Bruͤ-

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[187/0201] ren Kindern leben wollen, die Kinder vertraulich mit den Eltern verkehren — iſt es das nicht? und wenn es das iſt, beten wir dann nicht ſchon? wir ſprechen alſo dann nur den Eingang ins Gebet aus, wenn wir vereint in einem Gedanken das Weſen nennen, durch das dieſer Augenblick uns geſchenkt ward. Oft zeigt ſich dieſes religioͤſe Beduͤrfniß in ei- ner freilich uns ſehr befremdeten Geſtalt, die wir nur aus den Jahrbuͤchern Ludwigs des Vierzehn- ten kennen. Frauen, welche bis dahin dem Ton der Zeit gefolgt waren, ziehen ſich ploͤtzlich aus der Welt zuruͤck, veraͤndern ihren modernen An- zug in die einfache Buͤrgertracht, und widmen den groͤßten Theil ihrer Zeit oͤffentlichen und Privat- andachten. Dieſe letzten verſammeln Menſchen aus allen Staͤnden und finden in Buͤrgerhaͤuſern ſtatt, wo denn die Anzahl der Frommen oft ſo groß iſt, daß die Treppen, der Vorſaal gedraͤngt voll iſt, und man zufaͤllige Botſchaften durch die Fenſter vernimmt, weil die Thuͤren zu ſehr mit Menſchen umringt ſind. Die Redner in dieſen Verſammlungen ſind oft Geiſtliche, zuweilen fol- gen aber auch Laien dem Beduͤrfniß, ihr volles Herz oder ihre lebhafte Ueberzeugung ihren Bruͤ-

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/201>, abgerufen am 29.04.2024.