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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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ein Grundsatz allgemein angewendet werden kann.
Ich entbehrte einen unterrichteten Führer, der mir
hier den wissenschaftlichen Werth der Gegenstände
gezeigt hätte; um so ungestörter konnte ich mich
aber meiner phantastischen Freude an der bunten
Schöpfung überlassen, und da war mir's bald wie
den Juden, da sie die Apostel am Pfingstfeste hör-
ten, alle diese hundert Blümchen und Kräutchen
sangen aus ihren bunten Kehlchen jede in einer
fremden Zunge Gottes Lob. Ich ging zu einer
und zu der andern und blickte ihr ins Auge, und
fragte einen freundlichen holländischen Garten-
burschen zuweilen, wo ihr vaterländischer Boden
sey? und war sie denn aus einem recht erhabnen
wilden Lande, so war mirs, als sähe ich ein ver-
irrtes Kind unter fremden Menschen vertraulich
lächeln, und dachte: du kleines, kurzes Leben blickst
nur nach der goldnen Sonne da über dir, deine
Berge und deine schäumenden Gewässer hast du
vergessen, denn du sahst sie nur den kleinen An-
genblick, da du lebtest. -- Aber bei den fremden
Bäumen war mirs nicht so heiter, die sehen ver-
krüppelt aus, man mag sie pflegen wie man will.
Die Korkeiche sah recht arm und struppig aus, und
die italiänische Eiche recht klein und schwächlich.

N 2

ein Grundſatz allgemein angewendet werden kann.
Ich entbehrte einen unterrichteten Fuͤhrer, der mir
hier den wiſſenſchaftlichen Werth der Gegenſtaͤnde
gezeigt haͤtte; um ſo ungeſtoͤrter konnte ich mich
aber meiner phantaſtiſchen Freude an der bunten
Schoͤpfung uͤberlaſſen, und da war mir’s bald wie
den Juden, da ſie die Apoſtel am Pfingſtfeſte hoͤr-
ten, alle dieſe hundert Bluͤmchen und Kraͤutchen
ſangen aus ihren bunten Kehlchen jede in einer
fremden Zunge Gottes Lob. Ich ging zu einer
und zu der andern und blickte ihr ins Auge, und
fragte einen freundlichen hollaͤndiſchen Garten-
burſchen zuweilen, wo ihr vaterlaͤndiſcher Boden
ſey? und war ſie denn aus einem recht erhabnen
wilden Lande, ſo war mirs, als ſaͤhe ich ein ver-
irrtes Kind unter fremden Menſchen vertraulich
laͤcheln, und dachte: du kleines, kurzes Leben blickſt
nur nach der goldnen Sonne da uͤber dir, deine
Berge und deine ſchaͤumenden Gewaͤſſer haſt du
vergeſſen, denn du ſahſt ſie nur den kleinen An-
genblick, da du lebteſt. — Aber bei den fremden
Baͤumen war mirs nicht ſo heiter, die ſehen ver-
kruͤppelt aus, man mag ſie pflegen wie man will.
Die Korkeiche ſah recht arm und ſtruppig aus, und
die italiaͤniſche Eiche recht klein und ſchwaͤchlich.

N 2
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[195/0209] ein Grundſatz allgemein angewendet werden kann. Ich entbehrte einen unterrichteten Fuͤhrer, der mir hier den wiſſenſchaftlichen Werth der Gegenſtaͤnde gezeigt haͤtte; um ſo ungeſtoͤrter konnte ich mich aber meiner phantaſtiſchen Freude an der bunten Schoͤpfung uͤberlaſſen, und da war mir’s bald wie den Juden, da ſie die Apoſtel am Pfingſtfeſte hoͤr- ten, alle dieſe hundert Bluͤmchen und Kraͤutchen ſangen aus ihren bunten Kehlchen jede in einer fremden Zunge Gottes Lob. Ich ging zu einer und zu der andern und blickte ihr ins Auge, und fragte einen freundlichen hollaͤndiſchen Garten- burſchen zuweilen, wo ihr vaterlaͤndiſcher Boden ſey? und war ſie denn aus einem recht erhabnen wilden Lande, ſo war mirs, als ſaͤhe ich ein ver- irrtes Kind unter fremden Menſchen vertraulich laͤcheln, und dachte: du kleines, kurzes Leben blickſt nur nach der goldnen Sonne da uͤber dir, deine Berge und deine ſchaͤumenden Gewaͤſſer haſt du vergeſſen, denn du ſahſt ſie nur den kleinen An- genblick, da du lebteſt. — Aber bei den fremden Baͤumen war mirs nicht ſo heiter, die ſehen ver- kruͤppelt aus, man mag ſie pflegen wie man will. Die Korkeiche ſah recht arm und ſtruppig aus, und die italiaͤniſche Eiche recht klein und ſchwaͤchlich. N 2

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/209>, abgerufen am 28.04.2024.