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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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ständigkeiten zu ahnden, als die Unschuld des Pa-
radieses.

Ich stieg auf den flachen runden Thurm die-
ses Gebäudes, der zugleich als Sternwarte dient,
um Amsterdam von oben herab zu sehen. Es
liegt hier wie ein Panorama um dich her. Dein
Auge sieht von einem Punkt unbegrenzten Meeres
über den Pampus fort die ganze Küste von Nord-
holland, dann nach Südwest das Harlemmer Meer
und Harlem selbst, das Y, den Hafen, und das
weite ebne Land mit Häusern besäet, mit Kanälen
durchschnitten, mit Alleen bepflanzt -- Ameisen-
haufen -- wie sie da unten lächeln und weinen,
und alle Stimmen an dem blauen Himmelszelte
verhallen, und alle Halme verdorren und wieder
grünen, und alle Gewässer verdunsten und wieder
in Regen herabfallen, und nur der ewige Himmel
bleibt und des Menschen Gemüthe weich und lie-
bend und anbetend da oben steht und herab schaut
auf die armen, guten kindischen Brüder.

Diese Landkarten-Aussichten haben keinen Reiz
für mich, als durch Nachdenken. Mein schlechtes
Gesicht kann daran schuld seyn, da die Gläser im-
mer mehr oder weniger Guckkastenlicht über die
Landschaft verbreiten. Ich kannte aber Menschen

ſtaͤndigkeiten zu ahnden, als die Unſchuld des Pa-
radieſes.

Ich ſtieg auf den flachen runden Thurm die-
ſes Gebaͤudes, der zugleich als Sternwarte dient,
um Amſterdam von oben herab zu ſehen. Es
liegt hier wie ein Panorama um dich her. Dein
Auge ſieht von einem Punkt unbegrenzten Meeres
uͤber den Pampus fort die ganze Kuͤſte von Nord-
holland, dann nach Suͤdweſt das Harlemmer Meer
und Harlem ſelbſt, das Y, den Hafen, und das
weite ebne Land mit Haͤuſern beſaͤet, mit Kanaͤlen
durchſchnitten, mit Alleen bepflanzt — Ameiſen-
haufen — wie ſie da unten laͤcheln und weinen,
und alle Stimmen an dem blauen Himmelszelte
verhallen, und alle Halme verdorren und wieder
gruͤnen, und alle Gewaͤſſer verdunſten und wieder
in Regen herabfallen, und nur der ewige Himmel
bleibt und des Menſchen Gemuͤthe weich und lie-
bend und anbetend da oben ſteht und herab ſchaut
auf die armen, guten kindiſchen Bruͤder.

Dieſe Landkarten-Ausſichten haben keinen Reiz
fuͤr mich, als durch Nachdenken. Mein ſchlechtes
Geſicht kann daran ſchuld ſeyn, da die Glaͤſer im-
mer mehr oder weniger Guckkaſtenlicht uͤber die
Landſchaft verbreiten. Ich kannte aber Menſchen

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[203/0217] ſtaͤndigkeiten zu ahnden, als die Unſchuld des Pa- radieſes. Ich ſtieg auf den flachen runden Thurm die- ſes Gebaͤudes, der zugleich als Sternwarte dient, um Amſterdam von oben herab zu ſehen. Es liegt hier wie ein Panorama um dich her. Dein Auge ſieht von einem Punkt unbegrenzten Meeres uͤber den Pampus fort die ganze Kuͤſte von Nord- holland, dann nach Suͤdweſt das Harlemmer Meer und Harlem ſelbſt, das Y, den Hafen, und das weite ebne Land mit Haͤuſern beſaͤet, mit Kanaͤlen durchſchnitten, mit Alleen bepflanzt — Ameiſen- haufen — wie ſie da unten laͤcheln und weinen, und alle Stimmen an dem blauen Himmelszelte verhallen, und alle Halme verdorren und wieder gruͤnen, und alle Gewaͤſſer verdunſten und wieder in Regen herabfallen, und nur der ewige Himmel bleibt und des Menſchen Gemuͤthe weich und lie- bend und anbetend da oben ſteht und herab ſchaut auf die armen, guten kindiſchen Bruͤder. Dieſe Landkarten-Ausſichten haben keinen Reiz fuͤr mich, als durch Nachdenken. Mein ſchlechtes Geſicht kann daran ſchuld ſeyn, da die Glaͤſer im- mer mehr oder weniger Guckkaſtenlicht uͤber die Landſchaft verbreiten. Ich kannte aber Menſchen

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/217>, abgerufen am 28.04.2024.