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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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leicht ganz ersticken. Nach dem Urtheil, welches
einer der größten holländischen Dichter über Schil-
ler gefällt, und der Abneigung, die im Ganzen
gegen die Deutschen und ihre Litteratur da herr-
schen muß, wo man den Franzosen nachahmt,
erwartete ich auch keine Anerkennung, nicht ein-
mal Bekanntschaft mit Göthe. Werther war zu
seiner Zeit übersetzt und gelesen, er gehört auch
nicht hieher, aber daß sein Egmont den Menschen
bekannt sey, daß er sie interessiren würde, erwar-
tete ich um so mehr, da ich bei meiner Bekannt-
schaft mit der holländischen Individualität, in
Egmont selbst, in Oranien, in den Volksscenen
eine nationelle Wahrheit gefunden hatte, die mich
entzückte. In den Gesprächen der Pächter mit
ihrem Pachtherrn, der Handwerker, der Gerichts-
leute unter einander, und mit ihren Vorgesetzten,
traten kleine Züge in Wort, Ton, Haltung hervor,
die in Jetter-Soest, dem Seifensieder und den
andern, aufgefaßt sind. Selbst Egmonts Cha-
rakter -- es ist das Ideal eines Niederländers!
was ich an liebenswürdigen kleinen Zügen unter
den Vornehmen auffaßte ist in Göthes Egmont
vereinigt. Von Egmont mit einigen Holländern
zu sprechen, versuchte ich also doch. Sie kannten

leicht ganz erſticken. Nach dem Urtheil, welches
einer der groͤßten hollaͤndiſchen Dichter uͤber Schil-
ler gefaͤllt, und der Abneigung, die im Ganzen
gegen die Deutſchen und ihre Litteratur da herr-
ſchen muß, wo man den Franzoſen nachahmt,
erwartete ich auch keine Anerkennung, nicht ein-
mal Bekanntſchaft mit Goͤthe. Werther war zu
ſeiner Zeit uͤberſetzt und geleſen, er gehoͤrt auch
nicht hieher, aber daß ſein Egmont den Menſchen
bekannt ſey, daß er ſie intereſſiren wuͤrde, erwar-
tete ich um ſo mehr, da ich bei meiner Bekannt-
ſchaft mit der hollaͤndiſchen Individualitaͤt, in
Egmont ſelbſt, in Oranien, in den Volksſcenen
eine nationelle Wahrheit gefunden hatte, die mich
entzuͤckte. In den Geſpraͤchen der Paͤchter mit
ihrem Pachtherrn, der Handwerker, der Gerichts-
leute unter einander, und mit ihren Vorgeſetzten,
traten kleine Zuͤge in Wort, Ton, Haltung hervor,
die in Jetter-Soeſt, dem Seifenſieder und den
andern, aufgefaßt ſind. Selbſt Egmonts Cha-
rakter — es iſt das Ideal eines Niederlaͤnders!
was ich an liebenswuͤrdigen kleinen Zuͤgen unter
den Vornehmen auffaßte iſt in Goͤthes Egmont
vereinigt. Von Egmont mit einigen Hollaͤndern
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[212/0226] leicht ganz erſticken. Nach dem Urtheil, welches einer der groͤßten hollaͤndiſchen Dichter uͤber Schil- ler gefaͤllt, und der Abneigung, die im Ganzen gegen die Deutſchen und ihre Litteratur da herr- ſchen muß, wo man den Franzoſen nachahmt, erwartete ich auch keine Anerkennung, nicht ein- mal Bekanntſchaft mit Goͤthe. Werther war zu ſeiner Zeit uͤberſetzt und geleſen, er gehoͤrt auch nicht hieher, aber daß ſein Egmont den Menſchen bekannt ſey, daß er ſie intereſſiren wuͤrde, erwar- tete ich um ſo mehr, da ich bei meiner Bekannt- ſchaft mit der hollaͤndiſchen Individualitaͤt, in Egmont ſelbſt, in Oranien, in den Volksſcenen eine nationelle Wahrheit gefunden hatte, die mich entzuͤckte. In den Geſpraͤchen der Paͤchter mit ihrem Pachtherrn, der Handwerker, der Gerichts- leute unter einander, und mit ihren Vorgeſetzten, traten kleine Zuͤge in Wort, Ton, Haltung hervor, die in Jetter-Soeſt, dem Seifenſieder und den andern, aufgefaßt ſind. Selbſt Egmonts Cha- rakter — es iſt das Ideal eines Niederlaͤnders! was ich an liebenswuͤrdigen kleinen Zuͤgen unter den Vornehmen auffaßte iſt in Goͤthes Egmont vereinigt. Von Egmont mit einigen Hollaͤndern zu ſprechen, verſuchte ich alſo doch. Sie kannten

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/226>, abgerufen am 28.04.2024.