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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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hen Umrissen gegeben werden kann. In der Wirk-
lichkeit möchte man doch wohl einen ehrlichen Pa-
pa für toll halten, der in einem Tage mit Pfer-
den, Hunden, Maitressen und Handwerbern bis
Mitternacht sechzig tausend Livres durchbringt,
und dreimal hundert tausende verspielt. Nun! --
auf dem Vaudevills-Theater geht das an. Die
Darstellung war aber höchst übertrieben, wozu
das kleine Theater beitrug, indem die Stimmen
dieser Schreihälse nervenerschütternd zurücktönten.
Ihr Tutti bei der Scene, wo die Tugend des jun-
gen Herrn zum Durchbruch kommt, machte mich
fast krank. -- Solche Lungen sind mir ein Räth-
sel! Aber bei dieser Uebertreibung konnte man ih-
nen Leichtigkeit in den ruhigen Momenten, und
einen hohen Grad Uebereinstimmung im Spiel,
nicht absprechen -- und das bringt immer eine
angenehme Täuschung hervor. Ein gewisser
Bauerjunge, der unter die impertinente Pariser
Bedientenschaft fällt, war rein komisch, und sei-
ne Linkheit mit einer so unauslöschlichen Gutmü-
thigkeit gepaart, daß es offenbar war, wie er im-
mer Höflichkeit mit Wohlwollen verwechselte, und
seine Schüchternheit mit einem trotzigen Gefühl
seiner Rechtschaffenheit gepaart blieb. Das Ende

hen Umriſſen gegeben werden kann. In der Wirk-
lichkeit moͤchte man doch wohl einen ehrlichen Pa-
pa fuͤr toll halten, der in einem Tage mit Pfer-
den, Hunden, Maitreſſen und Handwerbern bis
Mitternacht ſechzig tauſend Livres durchbringt,
und dreimal hundert tauſende verſpielt. Nun! —
auf dem Vaudevills-Theater geht das an. Die
Darſtellung war aber hoͤchſt uͤbertrieben, wozu
das kleine Theater beitrug, indem die Stimmen
dieſer Schreihaͤlſe nervenerſchuͤtternd zuruͤcktoͤnten.
Ihr Tutti bei der Scene, wo die Tugend des jun-
gen Herrn zum Durchbruch kommt, machte mich
faſt krank. — Solche Lungen ſind mir ein Raͤth-
ſel! Aber bei dieſer Uebertreibung konnte man ih-
nen Leichtigkeit in den ruhigen Momenten, und
einen hohen Grad Uebereinſtimmung im Spiel,
nicht abſprechen — und das bringt immer eine
angenehme Taͤuſchung hervor. Ein gewiſſer
Bauerjunge, der unter die impertinente Pariſer
Bedientenſchaft faͤllt, war rein komiſch, und ſei-
ne Linkheit mit einer ſo unausloͤſchlichen Gutmuͤ-
thigkeit gepaart, daß es offenbar war, wie er im-
mer Hoͤflichkeit mit Wohlwollen verwechſelte, und
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[220/0234] hen Umriſſen gegeben werden kann. In der Wirk- lichkeit moͤchte man doch wohl einen ehrlichen Pa- pa fuͤr toll halten, der in einem Tage mit Pfer- den, Hunden, Maitreſſen und Handwerbern bis Mitternacht ſechzig tauſend Livres durchbringt, und dreimal hundert tauſende verſpielt. Nun! — auf dem Vaudevills-Theater geht das an. Die Darſtellung war aber hoͤchſt uͤbertrieben, wozu das kleine Theater beitrug, indem die Stimmen dieſer Schreihaͤlſe nervenerſchuͤtternd zuruͤcktoͤnten. Ihr Tutti bei der Scene, wo die Tugend des jun- gen Herrn zum Durchbruch kommt, machte mich faſt krank. — Solche Lungen ſind mir ein Raͤth- ſel! Aber bei dieſer Uebertreibung konnte man ih- nen Leichtigkeit in den ruhigen Momenten, und einen hohen Grad Uebereinſtimmung im Spiel, nicht abſprechen — und das bringt immer eine angenehme Taͤuſchung hervor. Ein gewiſſer Bauerjunge, der unter die impertinente Pariſer Bedientenſchaft faͤllt, war rein komiſch, und ſei- ne Linkheit mit einer ſo unausloͤſchlichen Gutmuͤ- thigkeit gepaart, daß es offenbar war, wie er im- mer Hoͤflichkeit mit Wohlwollen verwechſelte, und ſeine Schuͤchternheit mit einem trotzigen Gefuͤhl ſeiner Rechtſchaffenheit gepaart blieb. Das Ende

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/234>, abgerufen am 29.04.2024.