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Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811.

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mit dem Ausdruck von Kraft, der jenen Jahrhun-
derten des Freiheitskriegs eigen gewesen seyn muß,
denn ich fand ihn an so vielen Gemählden in Fa-
milien-Bildnissen und historischen Darstellungen.
Allein die Erfindung ist überladen und verworren;
das Auge arbeitet sich mühsam durch die Hündlein
und Rosse über den Triumphzug der Helden zu
den Wolken hinauf, wo die schwebenden Götter-
gestalten ihm wieder keine Ruhe lassen. Mir ver-
ursacht so ein Haufe von Gestalten in aktiven Stel-
lungen eine solche Spannung, daß ich endlich kein
klares Bild davon trage. Wenn ich jetzt noch die
Augen schließe, blicken mich die einzelnen herrlichen
Köpfe mit ihren lebendigen Augen an, ich könnte
sie mahlen, wenn die Kreide meine Phantasie dol-
metschen wollte; aber das Ganze ist mir nicht
deutlich geworden. Bei einer einfachen Anord-
nung ist das nie der Fall, und bei der höchsten
Stufe darstellender Kunst, bei der Gestaltung in
Stein, faßt die Erinnerung das Bild mit einer
Klarheit auf, die jeder Biegung jedes Gliedes eine
Bedeutung giebt, und allein den Begriff eines
Ideals in der Seele hervorruft.

Bei glänzender Erleuchtung und der Pracht
der Hof- und Ordens-Uniformen, muß dieser

mit dem Ausdruck von Kraft, der jenen Jahrhun-
derten des Freiheitskriegs eigen geweſen ſeyn muß,
denn ich fand ihn an ſo vielen Gemaͤhlden in Fa-
milien-Bildniſſen und hiſtoriſchen Darſtellungen.
Allein die Erfindung iſt uͤberladen und verworren;
das Auge arbeitet ſich muͤhſam durch die Huͤndlein
und Roſſe uͤber den Triumphzug der Helden zu
den Wolken hinauf, wo die ſchwebenden Goͤtter-
geſtalten ihm wieder keine Ruhe laſſen. Mir ver-
urſacht ſo ein Haufe von Geſtalten in aktiven Stel-
lungen eine ſolche Spannung, daß ich endlich kein
klares Bild davon trage. Wenn ich jetzt noch die
Augen ſchließe, blicken mich die einzelnen herrlichen
Koͤpfe mit ihren lebendigen Augen an, ich koͤnnte
ſie mahlen, wenn die Kreide meine Phantaſie dol-
metſchen wollte; aber das Ganze iſt mir nicht
deutlich geworden. Bei einer einfachen Anord-
nung iſt das nie der Fall, und bei der hoͤchſten
Stufe darſtellender Kunſt, bei der Geſtaltung in
Stein, faßt die Erinnerung das Bild mit einer
Klarheit auf, die jeder Biegung jedes Gliedes eine
Bedeutung giebt, und allein den Begriff eines
Ideals in der Seele hervorruft.

Bei glaͤnzender Erleuchtung und der Pracht
der Hof- und Ordens-Uniformen, muß dieſer

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[336/0350] mit dem Ausdruck von Kraft, der jenen Jahrhun- derten des Freiheitskriegs eigen geweſen ſeyn muß, denn ich fand ihn an ſo vielen Gemaͤhlden in Fa- milien-Bildniſſen und hiſtoriſchen Darſtellungen. Allein die Erfindung iſt uͤberladen und verworren; das Auge arbeitet ſich muͤhſam durch die Huͤndlein und Roſſe uͤber den Triumphzug der Helden zu den Wolken hinauf, wo die ſchwebenden Goͤtter- geſtalten ihm wieder keine Ruhe laſſen. Mir ver- urſacht ſo ein Haufe von Geſtalten in aktiven Stel- lungen eine ſolche Spannung, daß ich endlich kein klares Bild davon trage. Wenn ich jetzt noch die Augen ſchließe, blicken mich die einzelnen herrlichen Koͤpfe mit ihren lebendigen Augen an, ich koͤnnte ſie mahlen, wenn die Kreide meine Phantaſie dol- metſchen wollte; aber das Ganze iſt mir nicht deutlich geworden. Bei einer einfachen Anord- nung iſt das nie der Fall, und bei der hoͤchſten Stufe darſtellender Kunſt, bei der Geſtaltung in Stein, faßt die Erinnerung das Bild mit einer Klarheit auf, die jeder Biegung jedes Gliedes eine Bedeutung giebt, und allein den Begriff eines Ideals in der Seele hervorruft. Bei glaͤnzender Erleuchtung und der Pracht der Hof- und Ordens-Uniformen, muß dieſer

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Zitationshilfe: Huber, Therese: Bemerkungen über Holland aus dem Reisejournal einer deutschen Frau. Leipzig, 1811, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/huber_reisejournal_1811/350>, abgerufen am 15.05.2024.